Der schwedische Journalist Joakim Medin steht ab heute in der Türkei vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan beleidigt zu haben – ein Delikt, das im Falle einer Verurteilung mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Medin war am 27. März bei seiner Ankunft in Istanbul festgenommen und tags darauf inhaftiert worden. Er wollte über die massiven Straßenproteste berichten, die sich infolge der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu entfaltet hatten.
Die Verhandlung gegen den 40-jährigen Journalisten der linken schwedischen Tageszeitung Dagens ETC beginnt um 15 Uhr Ortszeit. Medin wird per Videoschalte aus dem Gefängnis Silivri bei Istanbul zugeschaltet. Laut Anklage soll er im Januar 2023 an einer Protestveranstaltung der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Stockholm teilgenommen haben, bei der eine Erdoğan-Puppe an einem Galgen dargestellt wurde. Medin bestreitet die Teilnahme und gibt an, lediglich journalistisch über die Aktion berichtet zu haben.
„Ich bin Journalist, das ist mein Beruf“, ließ Medin laut der türkischen Menschenrechtsorganisation Media and Law Studies Association (MLSA) in einer Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft erklären. Die Organisation verteidigt Medin juristisch. Laut Barış Altıntaş, der Ko-Direktorin der MLSA, sei die Anklage eine unzulässige Kriminalisierung journalistischer Arbeit. Die zweite Anklage, der sich Medin zu einem späteren Zeitpunkt stellen muss, lautet auf Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Grundlage hierfür seien Veröffentlichungen in sozialen Medien, Berichte sowie Bücher – allesamt Resultate seiner journalistischen Tätigkeit. Für dieses Vergehen drohen bis zu neun Jahre Haft. Ein Termin für diesen Prozess steht noch nicht fest.
Andreas Gustavsson, Chefredakteur von Dagens ETC, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass sich Medin „in ziemlich guter Verfassung“ befinde und „sich auf den Prozess vorbereitet“ habe. „Er freut sich darauf, dem Gericht zu sagen, dass journalistische Arbeit kein Verbrechen ist – auch nicht in der Türkei.“
Die Bedingungen in der Haft seien „ausreichend“, so Gustavsson. Medin habe die Möglichkeit, sich zu bewegen, seine Anwälte sowie Vertreter des schwedischen Konsulats zu treffen. Wöchentlich dürfe er mit seiner Ehefrau telefonieren.
Der Fall Medin steht beispielhaft für den problematischen Umgang der türkischen Justiz mit Pressefreiheit. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) stuft die Türkei auf Platz 158 von 180 in ihrem weltweiten Pressefreiheitsindex ein. Erol Önderoğlu von RSF kritisiert, das Delikt der Präsidentenbeleidigung sei ein „willkürliches Instrument zur Einschüchterung von Journalisten – sowohl inländischen als auch ausländischen“. Dass ein ausländischer Journalist für eine Handlung belangt werde, die er in seinem eigenen Land gar nicht begangen habe, sondern lediglich dokumentiert habe, sei „unverhältnismäßig und rechtsstaatlich fragwürdig“.
In der Vergangenheit wurden zahlreiche Personen, darunter Jugendliche, Journalisten und sogar eine ehemalige Miss Turkey, wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt. Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht Meinungsfreiheit als fundamentales Recht – viele der türkischen Verfahren stehen in offenem Widerspruch dazu.
Die innenpolitische Lage in der Türkei ist angespannt. Die Proteste, über die Medin berichten wollte, hatten sich nach der Inhaftierung des populären Oppositionspolitikers Ekrem İmamoğlu entzündet. Beobachter werten ihn als ernstzunehmenden Herausforderer Erdoğans bei künftigen Wahlen. Die Polizei reagierte mit Massenverhaftungen – rund 2.000 Menschen wurden festgesetzt, darunter auch Journalisten wie der BBC-Korrespondent Mark Lowen, der später als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ abgeschoben wurde.
Auch der AFP-Fotograf Yasin Akgül wurde zunächst festgenommen, wegen Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung angeklagt und später freigelassen. Ihm und sieben weiteren Medienschaffenden droht dennoch in diesem Jahr ein Gerichtsverfahren.
Die Beziehungen zwischen Schweden und der Türkei waren zuletzt durch den NATO-Beitrittsprozess Stockholms belastet. Ankara hatte das Beitrittsgesuch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine lange blockiert und forderte von Schweden ein härteres Vorgehen gegen kurdische Aktivisten. Erst Anfang 2024 billigte das türkische Parlament schließlich den NATO-Beitritt Schwedens.
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