Türkei erfüllt nur 6 ihrer 216 Menschenrechtsversprechen – Scharfe Kritik vor UN-Prüfung

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Vor dem Termin der „Universellen Periodischen Überprüfung“ (UPR) im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen steht die Türkei massiv in der Kritik. Laut einem neuen Bericht hat die Regierung in Ankara nur 6 der 216 Menschenrechtsverpflichtungen erfüllt, die sie sich vor fünf Jahren selbst auferlegt hatte. Die Versäumnisse betreffen insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit.

Die UPR ist ein regelmäßiger Überprüfungsmechanismus der UN, bei dem alle Mitgliedsstaaten alle fünf Jahre ihre Menschenrechtsbilanz offenlegen müssen. Für die heutige Sitzung in Genf wurde im Vorfeld ein umfassender Schattenbericht veröffentlicht, koordiniert von der Italienischen Menschenrechtsföderation (FIDU) und weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen wie The Arrested Lawyers Initiative, dem Institute for Diplomacy and Economy und Human Rights Solidarity in London.

Der Bericht zeichnet ein alarmierendes Bild: Von den 216 Empfehlungen, die die Türkei im Jahr 2020 angenommen hatte, wurden lediglich 6 vollständig umgesetzt. 118 Empfehlungen seien nur teilweise berücksichtigt worden, 89 vollständig ignoriert. Bei 3 Empfehlungen sei die Umsetzung nicht messbar gewesen.

Unabhängigkeit der Justiz untergraben

Besonders drastisch sei laut Bericht der Verfall der Rechtsstaatlichkeit. Der Einfluss der Exekutive auf die Justiz habe laut EU-Kommissionsbericht von 2023 weiter zugenommen. Es fehle weiterhin an Transparenz und Objektivität bei der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Urteile des Verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte würden von untergeordneten Gerichten zunehmend ignoriert – der Fall des Abgeordneten Can Atalay sei dafür exemplarisch.

Meinungsfreiheit und Medien unter Druck

Auch die Meinungsfreiheit befinde sich auf dem Rückzug. Keine der 19 Empfehlungen zum Schutz der freien Meinungsäußerung sei vollständig umgesetzt worden. Der Bericht verweist auf willkürliche Festnahmen, politische Prozesse sowie wachsenden Druck auf Journalistinnen, Anwältinnen und Menschenrechtsverteidiger*innen. Durch Institutionen wie die staatliche Rundfunkaufsicht RTÜK seien mediale Einschränkungen weiter institutionalisiert worden.

Symbolpolitik bei Frauen-, Kinder- und Behindertenrechten

Auch in sozialen Bereichen seien Fortschritte größtenteils ausbleiben: Nur 13 der 45 Empfehlungen zu Frauenrechten wurden teilweise umgesetzt, insbesondere im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt gebe es keine nennenswerte Verbesserung. Zwei Empfehlungen zur Bekämpfung von Kinderehen wurden vollständig ignoriert. Auch die Rechte von Kindern und Menschen mit Behinderungen seien nur oberflächlich angegangen worden.

Schwere Menschenrechtsverletzungen ohne Konsequenzen

Besonders besorgniserregend ist laut Bericht die Lage bei willkürlichen Inhaftierungen, Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Von zehn entsprechenden Empfehlungen wurde lediglich eine teilweise umgesetzt, neun vollständig ignoriert. Die Organisationen äußern erhebliche Zweifel an der Umsetzung des Folterverbots in der Praxis.

Reformpläne ohne Substanz

Zwar verweist die türkische Regierung regelmäßig auf Strategiepapiere wie die „Justizreformstrategie 2019“ oder den „Menschenrechtsaktionsplan 2021“. Doch diese seien laut Bericht nicht geeignet, die strukturellen Probleme im Rechtssystem zu lösen. Die geforderte Reform des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) blieb bisher aus.

Internationale Gemeinschaft in der Verantwortung

Die Autoren des Berichts fordern nun ein entschiedenes Umdenken in der internationalen Politik gegenüber der Türkei. Es sei nicht mehr hinnehmbar, dass menschenrechtliche Versprechen ohne Konsequenzen gebrochen werden. „Die UPR ist nicht nur eine Prüfung, sondern ein Spiegel – und dieser Spiegel zeigt eine Realität, die nicht länger geleugnet werden kann“, heißt es im Fazit.

Politische Reaktionen: Gergerlioğlu kritisiert Regierung scharf

Auch der türkische Oppositionspolitiker Ömer Faruk Gergerlioğlu (DEM-Partei) meldete sich zu Wort. Auf der Plattform X schrieb er: „Heute wird bei den UN die Maske der AKP fallen! Türkei hat von 216 Versprechen nur 6 erfüllt! Strategiepapiere wie die Justizreform 2019 und der Menschenrechtsaktionsplan 2021 – alles nur Makulatur!“

Die UPR-Sitzung in Genf wird mit Spannung erwartet. Menschenrechtsorganisationen hoffen auf klarere Signale und stärkeren Druck seitens der internationalen Gemeinschaft.

 

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