222 Studierende festgenommen: Legale Aktivitäten als Terrorbeweise

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Die Zahl der in dieser Woche im Rahmen einer groß angelegten Operation festgenommenen Personen – hauptsächlich Studierende, die mutmaßlichen Mitgliedern der glaubensbasierten Gülen-Bewegung zugerechnet werden, ist auf 222 gestiegen. Fragen, die Turkish Minute vorliegen und bei der Vernehmung der Festgenommenen verwendet werden, zeigen, dass diese zu verfassungsmäßig geschützten und anderweitig legalen Aktivitäten befragt werden.

Die türkische Polizei nahm am Dienstag 208 Personen fest, die meisten von ihnen Universitätsstudierende und frisch Graduierte, im Rahmen einer breit angelegten Operation gegen mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung. Die Operation hatte ihren Ausgangspunkt in der südöstlichen Provinz Gaziantep, Festnahmen erfolgten jedoch in insgesamt 47 Provinzen, wie Innenminister Ali Yerlikaya am Dienstag bekanntgab. Laut einem die Festgenommenen vertretenden Anwalt ist die Zahl der Festnahmen mittlerweile auf 222 gestiegen.

Die Festgenommenen wurden zur Vernehmung in das Polizeipräsidium von Gaziantep gebracht und sagten am Donnerstag vor Staatsanwälten aus. Laut einem durchgesickerten Dokument werden die Betroffenen bei ihrer Vernehmung durch Polizei und Staatsanwaltschaft zu legalen Aktivitäten befragt, etwa ob sie bestimmte weiterführende Schulen, Universitäten oder private Nachhilfeeinrichtungen besucht haben, in bestimmten Wohnheimen oder Wohngemeinschaften lebten, einen Führerschein oder Reisepass besaßen oder an Bildungsreisen im Ausland teilgenommen haben.

Solche Aktivitäten, obwohl gesetzlich zulässig, werden von den türkischen Justizbehörden als Indizien für eine Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung gewertet, die von der türkischen Regierung als terroristische Organisation eingestuft wird.

In den letzten zehn Jahren sahen sich der islamische Gelehrte Fethullah Gülen, der im Oktober verstarb, und seine Bewegung – die einst von der türkischen Regierung für ihre Aktivitäten im Bildungsbereich sowie im interreligiösen und interkulturellen Dialog gelobt wurde – verschiedenen Anschuldigungen durch die Regierung ausgesetzt, darunter die Leitung von Korruptionsermittlungen im Jahr 2013 und die Planung eines Putschversuchs im Juli 2016.

Die türkische Regierung stufte Gülen und seine Bewegung im Mai 2016 als „Terroristen“ ein. Gülen und seine Anhänger haben jegliche Beteiligung am Putsch oder an terroristischen Aktivitäten vehement bestritten, waren jedoch über ein Jahrzehnt lang Ziel einer massiven Repressionswelle, die sich nach dem gescheiterten Putschversuch nochmals verschärfte.

Polizei und Staatsanwälte fordern auch detaillierte Erklärungen zu Auslandsreisen, einschließlich der Fragen, wer die Reisen finanziert hat, mit wem gereist wurde und wo die Personen übernachtet haben.

Eine Standardfrage in den Unterlagen lautet, ob die festgenommene Person „an Auslandslagern“ der Gülen-Bewegung teilgenommen habe und wenn ja, „in welches Land sie gereist sei, wer sie begleitet habe und wer sie am Flughafen empfangen habe“.

Eine weitere Frage betrifft die Teilnahme an Sommercamps in Ländern wie Bosnien, Albanien, Nordmazedonien, Georgien oder dem Nordirak – Reisen, die oft Jahre zurückliegen und bei denen keine strafbaren Handlungen bekannt sind.

Ömer Faruk Gergerlioğlu, Abgeordneter der pro-kurdischen Partei für Gleichheit und Demokratie der Völker (DEM-Partei) und prominenter Menschenrechtsaktivist, kritisierte in einem Video auf X am Donnerstag die Art der Festnahmen mit den Worten: „In diesem Land ist es zu einem Verbrechen geworden, ins Ausland zu reisen! Eine touristische Reise zu unternehmen ist ein Verbrechen geworden! Wohin wollt ihr diese jungen Menschen treiben, was habt ihr vor?“

In einem weiteren Fragenkomplex werden die Festgenommenen zu ihrer Präsenz in sozialen Medien befragt, welche Messenger-Apps sie verwendet haben (wie Signal oder Jitsi), mit wem sie über diese Apps kommuniziert haben, wie ihre Social-Media-Konten heißen, ob sie Krypto-Wallets besitzen und ob sie jemals Gelder über digitale Plattformen transferiert haben.

Außerdem wird gefragt, ob sie Geld unter religiösen Begriffen wie „Zakat“, „İnfak“ oder „Himmet“ gespendet haben – Praktiken, die im islamischen Glauben verwurzelt sind, jedoch mittlerweile regelmäßig als Belege für „Terrorismusfinanzierung“ in Ermittlungen gegen Gülen-Anhänger angeführt werden.

In einer weiteren Frage wird ermittelt, ob ein oder mehrere Familienmitglieder der Betroffenen wegen Terrorvorwürfen strafrechtlich verfolgt wurden. Außerdem werden die früheren Arbeitsstellen der Festgenommenen und die Dauer ihrer dortigen Beschäftigung abgefragt.

Eine Frage lautet explizit, ob der oder die Festgenommene von Artikel 221 des türkischen Strafgesetzbuches, der sogenannten „effektiven Reue“-Klausel, Gebrauch machen möchte. Diese sieht Strafmilderung für Personen vor, die gestehen und mit den Behörden kooperieren.

Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen sagen, dass der Umfang der Befragung zeigt, wie türkische Behörden weiterhin friedliche, legale Aktivitäten als terroristische Handlungen behandeln.

Laut einer Erklärung von Justizminister Yılmaz Tunç im Vorfeld des achten Jahrestages des Putschversuchs im Juli wurden seit dem Umsturzversuch insgesamt 705.172 Menschen wegen Terrorismus- oder Putschvorwürfen im Zusammenhang mit der Bewegung untersucht. Tunç erklärte damals, dass 13.251 Personen wegen Gülen-bezogener Verfahren entweder in Untersuchungshaft oder bereits wegen Terrorismus verurteilt seien.

Es wird angenommen, dass diese Zahlen in den vergangenen zehn Monaten weiter gestiegen sind, da die Operationen gegen Gülen-Anhänger unvermindert andauern. Präsident Erdoğan und mehrere Regierungsmitglieder erklärten nach dem Tod des Geistlichen im Alter von 83 Jahren, dass es „kein Nachlassen“ im Kampf gegen die Bewegung geben werde.

Die Türkei ist Mitglied des Europarates und Unterzeichnerin der Europäischen Menschenrechtskonvention. Internationale Beobachtungsstellen haben jedoch wiederholt gewarnt, dass Ankaras Anwendung von Antiterrorgesetzen grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt und dazu dient, abweichende Meinungen zu unterdrücken und die Zivilgesellschaft zu zerschlagen.

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