Die türkischen Behörden haben am Donnerstag den Zugang zum X-Konto (ehemals Twitter) des inhaftierten Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, blockiert. Der prominente Oppositionspolitiker, der rund 10 Millionen Follower auf der Plattform hat, galt als einer der aussichtsreichsten Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei den Wahlen 2028.
İmamoğlu war im März unter Korruptionsvorwürfen verhaftet worden – ein Vorwurf, den er kategorisch zurückweist. Seine Festnahme hatte landesweite Proteste ausgelöst und zu mehreren Massenkundgebungen geführt. Beobachter sehen in dem Verfahren gegen ihn eine gezielte politische Maßnahme, um ihn von zukünftigen Wahlen auszuschließen.
Am Donnerstagmorgen war das Profil des Bürgermeisters auf X nicht mehr aufrufbar. Stattdessen erschien die Meldung: „Account Withheld — @ekrem_imamoglu has been withheld in TR (Turkey) in response to a legal demand.“ Ein Sprecher der Istanbuler Stadtverwaltung bestätigte die Sperrung, machte jedoch keine weiteren Angaben.
Vorwurf der „öffentlichen Anstiftung“
Laut einem Bulletin des Präsidialamts wurde die Sperre durch eine Ermittlung der Istanbuler Staatsanwaltschaft ausgelöst. Anlass sei ein Beitrag vom 24. April gewesen, in dem İmamoğlu die Verhaftung von Oppositionellen und Anwälten scharf kritisierte und die Bevölkerung aufforderte, „nicht zu schweigen“. Die Staatsanwaltschaft werte den Beitrag als „öffentliche Anstiftung zur Begehung von Straftaten“. Man gehe jedoch davon aus, dass İmamoğlu den Beitrag nicht selbst verfasst habe und forderte daher eine Sperre „bis zur Aufhebung der Untersuchungshaft“.
Zensur unter dem Deckmantel der Sicherheit
Die Organisation EngelliWeb, die Internetzensur in der Türkei dokumentiert, bestätigte die Sperrung und verwies auf Artikel 8/A des türkischen Internetgesetzes Nr. 5651. Darin wird die Einschränkung von Inhalten mit der Wahrung der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung begründet. Auch das Konto von İmamoğlu sei „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ unsichtbar gemacht worden.
Der Jurist und Meinungsfreiheitsaktivist Prof. Dr. Yaman Akdeniz kritisierte die Maßnahme scharf: „Das ist eine willkürliche Anordnung – leider keine Überraschung, da seit İmamoğlus Festnahme bereits Hunderte von Accounts gesperrt wurden.“ Er fügte hinzu: „X ist inzwischen der verlängerte Arm der türkischen Sicherheitsbehörden.“
Juristische Gegenwehr und Proteste
Der Anwalt Gönenç Gürkaynak legte am Donnerstag im Namen von X offiziell Widerspruch gegen die Sperre ein. Er reichte eine 765-seitige Beschwerdeschrift bei einem Istanbuler Gericht ein. Auf der Plattform solidarisieren sich unterdessen viele Nutzer*innen mit dem Bürgermeister, indem sie ihre Profilbilder durch sein Porträt ersetzen.
In seinem letzten Beitrag vor der Sperrung rief İmamoğlu, der derzeit im Gefängnis von Silivri inhaftiert ist, zur Teilnahme an einer Großdemonstration auf, die von seiner Partei CHP organisiert wurde. Zehntausende Menschen versammelten sich daraufhin am Mittwoch vor der Universität Istanbul – ein Ort mit symbolischer Bedeutung, denn just einen Tag vor seiner Verhaftung war İmamoğlu von derselben Universität sein Hochschulabschluss aberkannt worden.
Trotz des staatlichen Drucks bleibt der öffentliche Rückhalt für İmamoğlu ungebrochen. Beobachter werten die anhaltenden Proteste und die Empörung in den sozialen Medien als Zeichen dafür, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung mit der politischen Instrumentalisierung der Justiz nicht abfinden will.
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