Ein umfassendes Vorgehen gegen die größte türkische Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hat sich im vergangenen Jahr deutlich verschärft. Nach einem Bericht der Partei wurden bislang 16 Bürgermeister inhaftiert, ein weiterer steht unter Hausarrest.
Die Maßnahmen begannen nach den deutlichen Wahlerfolgen der CHP bei den Kommunalwahlen im März 2024 und erstrecken sich mittlerweile über eine beträchtliche Zahl von Gemeinden. Kritiker sprechen von der größten Repressionskampagne gegen eine Oppositionspartei seit Jahrzehnten.
Die erste Verhaftungswelle setzte im Oktober 2024 mit der Festnahme von Ahmet Özer ein, des neu gewählten Bürgermeisters des Istanbuler Bezirks Esenyurt. Ihm werden terrorbezogene Straftaten vorgeworfen. Seither haben sich die Ermittlungen auf 17 Gemeinden ausgeweitet, darunter auch große Metropolen wie Istanbul, Adana, Antalya und Adıyaman. Die Staatsanwaltschaft nennt ein breites Spektrum an Vorwürfen: Korruption, Manipulation öffentlicher Ausschreibungen und Unterstützung einer terroristischen Organisation.
Die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan geführte Regierungspartei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) erlitt im März 2024 ihre schwerste Wahlniederlage seit zwanzig Jahren und verlor mehrere Schlüsselstädte an die CHP. Kritiker sehen die nachfolgenden Verhaftungen als politisch motiviert und als Versuch, mit juristischen Mitteln jede Form des Widerspruchs zu unterdrücken.
Die Spannungen verschärften sich weiter mit der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu im März. Am selben Tag war er zum Präsidentschaftskandidaten der CHP ernannt worden. Ihm wird Korruption vorgeworfen. Die Festnahme löste die größten Proteste seit den Gezi-Park-Demonstrationen 2013 aus. Zwar ebbten die nächtlichen Proteste nach einer Woche ab, doch die CHP setzt ihre landesweiten Kundgebungen fort. Diese haben der Partei Umfragen zufolge neue Popularität verschafft.
Bei der jüngsten Verhaftungsrunde wurden am 5. Juli drei weitere CHP-Bürgermeister festgenommen. Noch am selben Tag wurde Muhittin Böcek, Bürgermeister der Großstadt Antalya, verhaftet. Am darauffolgenden Dienstag folgte Zeydan Karalar, Bürgermeister der Großstadt Adana. Der Bürgermeister von Adıyaman, Abdurrahman Tutdere, wurde unter Hausarrest gestellt. Auch Niyazi Nefi Kara, Bürgermeister von Manavgat, und Ahmet Şahin, stellvertretender Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Büyükçekmece, wurden an diesem Tag festgenommen.
Zu den weiteren prominenten Fällen zählen die Bürgermeister von İzmir sowie mehrerer Istanbuler Bezirke, darunter Beşiktaş, Beykoz, Beylikdüzü und Şişli. 15 der 17 betroffenen Bürgermeister wurden inzwischen ihres Amtes enthoben.
Zusätzlich zu den Bürgermeistern wurden im Rahmen derselben Ermittlungen Dutzende kommunale Beamte festgenommen. Die genaue Zahl ist bislang unklar.
In einem Fall wurden am Mittwoch zehn weitere Personen im Zuge einer erweiterten Korruptionsermittlung gegen die Stadtverwaltung von Istanbul festgenommen. Unter den Festgenommenen befinden sich Fahrer hochrangiger Stadtbeamter, ein städtischer Buchhalter, Privatunternehmer und Geschäftsleute. Grundlage sollen Aussagen von Zeugen gewesen sein.
Die Regierung verteidigt die Festnahmen als rechtmäßig und nicht politisch motiviert. Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten hingegen werfen ihr vor, die Justiz als Instrument zur Ausschaltung politischer Gegner zu missbrauchen.
Trotz des zunehmenden Drucks kündigte CHP-Vorsitzender Özgür Özel an, den Widerstand der Partei fortzusetzen. Am Mittwoch rief er auf sozialen Medien zur Teilnahme an einer Kundgebung im Istanbuler Stadtteil Sancaktepe auf. „Die Geschichte wird uns Recht geben. Wir werden mit dem Volk Gerechtigkeit und Wohlstand wiederherstellen“, erklärte er.
CHP-Abgeordnete marschieren zum Justizministerium aus Protest gegen die Festnahmen
Im Zuge der Repressionswelle marschierten führende Abgeordnete der CHP am Mittwoch vom türkischen Parlament zum Justizministerium in Ankara. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Die Souveränität gehört dem Volk“. Sie riefen Parolen, verlasen die Namen der inhaftierten Bürgermeister und antworteten jeweils mit „Sie sind bei uns“.
Während der Demonstration warf Gökhan Günaydın, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CHP, der Regierung selektive Justizanwendung vor. Er verglich die aktuelle Verhaftungswelle gegen Oppositionsbürgermeister mit früheren Korruptionsskandalen, in die Mitglieder der Regierungspartei verwickelt waren.
Er erinnerte an die Bestechungs- und Korruptionsermittlungen vom 17. bis 25. Dezember 2013. Damals wurden die Söhne mehrerer Minister sowie ein Sohn von Präsident Recep Tayyip Erdoğan belastet. Die Ermittlungen führten zum Rücktritt von vier Ministern. Erdoğan bezeichnete sie jedoch als politischen Komplott von Anhängern der Gülen-Bewegung, die sich auf den inzwischen verstorbenen islamischen Prediger Fethullah Gülen beruft. Hunderte beteiligte Polizisten und Staatsanwälte wurden später entlassen oder versetzt und selbst wegen des Versuchs eines Staatsstreichs und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation angeklagt.
Günaydın kritisierte, dass die Regierung glaubwürdige Korruptionsvorwürfe in den eigenen Reihen ignoriere. Darunter fielen etwa der Fund großer Bargeldsummen, Geldzählmaschinen und Luxusgüter. Gleichzeitig werde die Justiz als Werkzeug zur Unterdrückung von Widerspruch und zur Verfolgung der Opposition missbraucht.
„Wenn es in diesem Land auch nur einen Funken Rechtsstaatlichkeit gäbe, hätten Sie das Licht der Welt nie erblickt!“, rief er in Richtung der regierenden AKP.
Opposition under siege: 16 CHP mayors jailed, one under house arrest in Turkey

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