Terrorprozess gegen Schülerinnen und Studentinnen – 19 Urteile, 19 Freisprüche

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Ein Gericht in Istanbul hat 19 Angeklagte im sogenannten „Mädchen-Prozess“ wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung verurteilt, während 19 weitere freigesprochen wurden. Die Verfahren basierten auf Routinetätigkeiten wie Koranunterricht, Nachhilfe, gemeinsame Wohnungen oder soziale Treffen, die von der Staatsanwaltschaft als Beweise für „Terrorismus“ gewertet wurden.

Das Strafgericht in Istanbul unter Vorsitz von Richter Şenol Kartal verhängte Haftstrafen zwischen sechs Jahren und drei Monaten sowie sieben Jahren und sechs Monaten gegen elf Personen wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“. Acht weitere wurden zu drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen wegen „Unterstützung einer terroristischen Organisation“ verurteilt. Zwei Angeklagte, die zum Zeitpunkt des Urteils flüchtig waren, wurden zur Festnahme ausgeschrieben. Eine Mutter erhielt sechs Jahre und drei Monate Haft, während ihre Tochter – Jurastudentin – freigesprochen wurde.

Die 529 Seiten starke Anklageschrift listet über 100 „Taten“ auf, darunter das Studieren des Korans, Nachhilfeunterricht, die Teilnahme an geselligen Treffen oder das Leben in Wohngemeinschaften. Keiner der Fälle beinhaltete Waffen oder Gewalt. Rechtsgrundlage der Anklage war Artikel 314 des türkischen Strafgesetzbuchs, das die Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation regelt.

Internationale Beobachtung

Das Verfahren stand unter Beobachtung internationaler Delegationen aus Europa und den USA, die in Berichten auf gravierende Mängel beim Verfahren hinwiesen. Dokumentiert wurden u. a. monatelange Abwesenheiten eines Richters im Dreiergremium sowie Unterbrechungen der Angeklagten während ihrer Aussagen.

Die Staatsanwaltschaft hatte am 27. Juni für alle 41 Angeklagten Haftstrafen gefordert. Verteidiger kritisierten, dass die Stellungnahme die Anklageschrift lediglich wiederhole und keine Straftatbestände belege. In ihren Plädoyers betonten sie, dass im gesamten Verfahren weder Waffen noch Gewalt oder eine Befehlskette nachgewiesen worden seien. Als „Beweise“ angeführte Chatnachrichten hätten sich ausschließlich um Miet- und Nebenkostenabrechnungen gedreht.

Teil einer breiteren Repressionswelle

Das Urteil wird voraussichtlich in einer höheren Instanz angefochten. Es ist Teil der langjährigen Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit den Korruptionsermittlungen von 2013 massiv ins Visier genommen hat. Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016, den Erdoğan der Bewegung anlastet, wurden nach Angaben des Justizministeriums mehr als 126.000 Menschen verurteilt, über 11.000 befinden sich weiterhin in Haft. Verfahren gegen mehr als 24.000 Personen laufen noch, gegen 58.000 wird weiterhin ermittelt.

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