EU-Berichterstatter kritisiert Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei

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Nacho Sánchez Amor spricht in Ankara von „sehr ernstem Defizit“ – Treffen mit Regierungsvertretern, Opposition und Inhaftierten

Der Türkei-Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Nacho Sánchez Amor, hat während eines Besuchs in Ankara deutliche Kritik am Zustand der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei geäußert. Bei einer Pressekonferenz in der EU-Delegation sagte der spanische Abgeordnete, zentrale Teile der türkischen Verfassung würden nicht konsequent angewendet. Nach seinen Worten respektierten politische Entscheidungsträger vor allem die Artikel, die ihre eigene Macht stützten, während Bestimmungen zum Schutz von Rechten und Justiz vernachlässigt würden.

Amor hält sich vom 3. bis 7. Dezember in der Türkei auf, um Informationen für den nächsten Jahresbericht des Europäischen Parlaments zur Türkei zu sammeln. Er führte Gespräche mit Finanzminister Mehmet Şimşek, dem stellvertretenden Außenminister Mehmet Kemal Bozay, den Vorsitzenden der CHP und der DEM-Partei, Botschaftern von EU-Mitgliedstaaten, der türkischen Menschenrechts- und Gleichstellungsinstitution sowie mit Journalistinnen, Journalisten und zivilgesellschaftlichen Gruppen.

Vorwürfe unterschiedlicher Maßstäbe in der Justiz

Der Abgeordnete kritisierte, die türkische Justiz gehe in Verfahren gegen Regierungsmitglieder und Oppositionelle nicht nach einheitlichen Maßstäben vor. Fälle, die Falschinformationen zum Nachteil der Regierungspartei betreffen, würden häufig nicht verfolgt, während ähnliche Vorwürfe gegenüber der Opposition zu strafrechtlichen Ermittlungen führen könnten.

Amor wies außerdem darauf hin, dass die Weigerung der Türkei, bindende Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen – unter anderem in den Fällen Selahattin Demirtaş und Osman Kavala – den Beziehungen zur EU im Wege stehe. Die Umsetzung dieser Urteile wäre nach seinen Worten ein wichtiger Schritt, um Fortschritte im Verhältnis zur EU zu ermöglichen.

Besuche in Haftanstalten

Während seines Aufenthalts wollte Amor mehrere inhaftierte Politiker und Aktivisten besuchen, darunter Demirtaş in Edirne, den Geschäftsmann Kavala, den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu sowie den Abgeordneten Can Atalay in Silivri, sofern die Behörden die Besuche erlauben.

Am Samstag bestätigte er, Demirtaş in Edirne besucht zu haben. Auf X schrieb er, dieser sei „bei guter Verfassung“. Demirtaş habe ihm zudem mitgegeben, dass eine Wiederaufnahme der EU-Beitrittsgespräche aus seiner Sicht positive Impulse für alle Beteiligten setzen könnte.

Gespräche über kurdische Frage

Am Donnerstag führte Amor Gespräche mit Vertretern der DEM-Partei, darunter Co-Vorsitzender Tuncer Bakırhan. Die Partei sprach dabei über ihre Vorstellungen eines neuen politischen Prozesses, der sowohl die Ausweitung von Rechten für kurdische Bürgerinnen und Bürger als auch die Entwaffnung der PKK umfassen soll. Amor sagte, ein solcher Prozess könne Chancen für bessere Beziehungen zwischen der Türkei und der EU eröffnen – vorausgesetzt, rechtsstaatliche Garantien würden eingehalten und Gerichtsentscheidungen respektiert.

Treffen mit CHP-Vorsitzendem Özgür Özel

Am Freitag traf Amor den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, der derzeit mit einer Reihe von Gerichtsverfahren gegen seine Partei konfrontiert ist. Diese könnten sowohl Auswirkungen auf gewählte Amtsträger als auch auf die Parteiführung haben.

Amor erklärte, wirtschaftspolitische Maßnahmen allein reichten nicht aus, um das Vertrauen internationaler Akteure zu stärken. Solange Gerichte politisiert seien und Verfassungs- sowie internationale Urteile nicht umgesetzt würden, könnten weder Investoren noch europäische Partner Fortschritte erwarten.

 

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