Türkische Opposition erhöht Druck auf Regierung nach Urteil im Fall Demirtaş

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Nach dem endgültigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Inhaftierung des pro-kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş hat die türkische Opposition am Dienstag seine umgehende Freilassung verlangt. „Angesichts der zahlreichen bisherigen EGMR-Entscheidungen und der nunmehr endgültigen Entscheidung sollten unsere Freunde sofort freigelassen werden“, erklärte die pro-kurdische DEM-Partei mit Blick auf Demirtaş und die ebenfalls inhaftierte Politikerin Figen Yüksekdağ.

Am Montagabend hatte der EGMR sein abschließendes Urteil verkündet und festgestellt, dass Demirtaş’ Rechte im Gefängnis verletzt worden seien. Das Gericht ordnete seine Freilassung an. Bereits seit 2019 hatte das Straßburger Gericht wiederholt die Entlassung des Politikers gefordert, seine Verhaftung scharf kritisiert und die gegen ihn geführten Verfahren in der Türkei als unfair und rechtswidrig bezeichnet. Die türkische Regierung hatte diese Urteile bislang ignoriert. Laut der Nachrichtenagentur AFP wies nun das Gericht auch den letzten Rechtsbehelf des türkischen Justizministeriums ab.

Demirtaş, früherer Ko-Vorsitzender der inzwischen verbotenen pro-kurdischen HDP, war am 4. November 2016 unter Terrorismusvorwürfen festgenommen worden – auf den Tag genau vor neun Jahren. Im vergangenen Jahr wurde der 52-Jährige zu 42 Jahren Haft verurteilt. Ihm wird unter anderem zur Last gelegt, im Zusammenhang mit den gewaltsamen Protesten von 2014 gegen die Belagerung der nordsyrischen Stadt Kobane durch die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) die Einheit des Staates verletzt zu haben. Auch Yüksekdağ, seine damalige Mitvorsitzende, erhielt eine Haftstrafe von mehr als 30 Jahren.

Neben der DEM-Partei forderte auch die größte Oppositionspartei CHP die sofortige Umsetzung des Urteils. „Die Entscheidung des EGMR ist endgültig und muss unverzüglich umgesetzt werden“, erklärte Sezgin Tanrıkulu, CHP-Abgeordneter für Diyarbakır im überwiegend kurdisch geprägten Südosten des Landes, auf der Plattform X.

Überraschend schien sich auch Devlet Bahçeli, Vorsitzender der nationalistischen MHP und enger Verbündeter von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, für eine Freilassung Demirtaş’ auszusprechen. Der Politiker habe „auf rechtlichem Wege ein Ergebnis erzielt“, sagte Bahçeli. „Seine Freilassung wird ein positiver Schritt für die Türkei sein.“

Demirtaş, der 2014 als Präsidentschaftskandidat gegen den islamisch-konservativen Erdoğan angetreten war, galt lange als charismatische Führungsfigur und Hoffnungsträger der linken Opposition. Als früherer Menschenrechtsanwalt erzielte er bei der Wahl einen Achtungserfolg und führte die HDP im Juni 2015 erstmals in Fraktionsstärke ins Parlament – ein Ergebnis, das der regierenden AKP damals die absolute Mehrheit kostete und Demirtaş die dauerhafte Feindschaft Erdoğans einbrachte.

Im November 2016 wurden Demirtaş und mehrere HDP-Abgeordnete schließlich unter dem Vorwurf verhaftet, der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahezustehen, die über Jahrzehnte einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat geführt hatte. Die HDP, heute stark geschwächt durch die Inhaftierung zahlreicher Funktionäre und Mitglieder, wird von der Regierungspartei AKP regelmäßig als Unterstützerin des Terrorismus diffamiert. In diesem Jahr hatte die PKK ihre Selbstauflösung bekanntgegeben.

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