Nach anhaltender internationaler Kritik an Israels Blockadepolitik im Gazastreifen hat das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) am Dienstag die Genehmigung für die Einfahrt von rund hundert Lastwagen mit Hilfsgütern erhalten. „Das sind deutlich mehr als gestern genehmigt wurden“, erklärte OCHA-Sprecher Jens Laerke vor Journalisten in Genf. Laut Berichten der Nachrichtenagentur AFP meldete der palästinensische Zivilschutz über vierzig weitere Todesopfer infolge israelischer Angriffe in dem dicht besiedelten Palästinensergebiet.
Wiederaufnahme der Hilfslieferungen nach langer Blockade
Bereits am Montag war es nach mehr als elf Wochen vollständiger Blockade erstmals wieder gelungen, Hilfslieferungen der Vereinten Nationen in den Küstenstreifen zu bringen. Laerke betonte, dass OCHA daraufhin auch am Dienstag um weitere Konvois ersucht habe, denen Israel zugestimmt habe. Man hoffe nun, die Güter noch am selben Tag in den Gazastreifen bringen und verteilen zu können.
UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher hatte die am Vortag genehmigten Lieferungen als unzureichend bezeichnet: Angesichts der Notlage der palästinensischen Bevölkerung seien sie lediglich „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Ähnlich äußerten sich die Außenministerien Deutschlands und 21 weiterer Staaten, die den Umfang der Hilfslieferungen scharf kritisierten.
Oxfam warnt vor Hungerkatastrophe
Die Hilfsorganisation Oxfam erklärte am Dienstag, dass die Menschen im Gazastreifen weiterhin unter einem gravierenden Mangel an Lebensmitteln, Trinkwasser, Medikamenten und weiteren lebensnotwendigen Gütern leiden. Zwei Millionen Menschen stehen am Rande einer Hungersnot, so die Organisation, die von Traumatisierung, Krankheiten und massiver Vertreibung sprach. Israel muss „vollen Zugang für unabhängige Hilfsorganisationen gewährleisten“, fordert Oxfam. Das von Israel vorgeschlagene Modell, Hilfslieferungen unter militärischer Kontrolle abzuwickeln, schließe erfahrene internationale wie lokale Akteure weitgehend aus und schaffe „militärisch kontrollierte Korridore“ sowie willkürlich beschränkte Hilfslieferungen.
Blockade als politisches Druckmittel
Seit Anfang März hatte Israel die humanitären Lieferungen nach eigenen Angaben gestoppt, um den Druck auf die radikalislamische Hamas zu erhöhen. Die Organisation hält nach wie vor israelische Geiseln in ihrer Gewalt. Am Montag erklärte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dass eine Hungersnot im Gazastreifen „auch aus diplomatischen Gründen“ vermieden werden müsse. Selbst Israels Verbündete würden Bilder von massenhaftem Hunger nicht akzeptieren.
Ausweitung der Militäroffensive
Ungeachtet der internationalen Appelle setzt Israel seine Militäroffensive fort. Die Armee habe, so eine Mitteilung vom Sonntag, neben den fortgesetzten Luftangriffen „umfassende Bodeneinsätze“ im Gazastreifen begonnen. Netanjahu kündigte am Montag an, Israel werde „die Kontrolle über das gesamte Territorium“ des Gazastreifens übernehmen.
Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Behörden wurden bei Angriffen am Dienstag mindestens 44 Menschen getötet, die Mehrheit davon Frauen und Kinder. Der Sprecher des palästinensischen Zivilschutzes, Mahmud Bassal, sprach zudem von zahlreichen Verletzten, die in Krankenhäuser eingeliefert worden seien.
Katar warnt vor Scheitern der Waffenruheverhandlungen
Die Regierung des Golfemirats Katar, das als Vermittler in dem Konflikt tätig ist, äußerte scharfe Kritik am israelischen Vorgehen. Der katarische Premierminister Mohammed bin Abdulrahman al-Thani warf Israel bei einem Wirtschaftsforum vor, durch sein „verantwortungsloses, aggressives Verhalten“ jegliche Friedensperspektiven zu untergraben.
Die Verhandlungen über eine erneute Waffenruhe blieben bisher erfolglos. Während Hamas-Vertreter Taher al-Nunu zuletzt „Gespräche ohne Vorbedingungen“ forderte, zeigte sich Netanjahu am Sonntag offen für ein Abkommen zur „Beendigung der Kämpfe“ – allerdings nur unter der Voraussetzung der Freilassung aller Geiseln, der „Verbannung der Hamas-Terroristen“ sowie der vollständigen Entwaffnung des Gazastreifens.
Scharfe Kritik aus westlichen Hauptstädten
Auch international wächst die Kritik am Vorgehen Israels. Die Regierungen Frankreichs, Kanadas und Großbritanniens warnten am Montag vor Konsequenzen. Präsident Emmanuel Macron, Premierminister Keir Starmer sowie der kanadische Regierungschef Mark Carney kündigten „konkrete Maßnahmen“ an. Zudem erklärten sie ihre Entschlossenheit, einen palästinensischen Staat anzuerkennen.
Netanjahu wies diese Ankündigungen scharf zurück. Damit würden diese Staaten der Hamas „eine riesige Belohnung für den genozidalen Angriff auf Israel am 7. Oktober“ bieten, so der israelische Regierungschef.
Die Ausgangslage
Ausgelöst wurde der Gaza-Krieg durch den Großangriff der Hamas und ihr verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023. Nach israelischen Angaben wurden dabei etwa 1200 Menschen getötet und 251 Personen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Seither geht Israel massiv militärisch im Gazastreifen vor.
Mitte Januar war eine kurzzeitige Waffenruhe vereinbart worden, die jedoch im März durch erneute israelische Angriffe beendet wurde. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza – die nicht unabhängig verifiziert werden können – sind seit Beginn des Krieges rund 53.500 Menschen in dem Gebiet ums Leben gekommen.
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