Steigende Preise und politische Spannungen überschatten das Opferfest in der Türkei

0

Während Millionen Muslime weltweit zwischen dem 6. und 9. Juni das islamische Opferfest (Eid al-Adha) feiern, steht die Türkei in diesem Jahr unter dem Schatten wirtschaftlicher Not und politischer Repression. Die Kombination aus explodierenden Lebenshaltungskosten und einer zunehmenden Verfolgung der politischen Opposition macht das Fest für viele Bürger zu einer Zeit der Sorge statt der Freude.

Tradition unter Druck

Eid al-Adha, das Opferfest, ist eines der beiden wichtigsten religiösen Feste im Islam. Wer es sich leisten kann, opfert ein Tier – meist ein Schaf oder Rind – und verteilt das Fleisch an Familie, Freunde und Bedürftige. Doch für viele Haushalte in der Türkei ist dieses Ritual inzwischen unerschwinglich geworden. Bauern klagen über drastisch gestiegene Kosten für Tierhaltung, was sich massiv auf die Preise der Opfertiere auswirkt. Im Vergleich zu 2021 sind die Kosten laut türkischen Medienberichten um bis zu 900 Prozent gestiegen.

Diese Preisexplosion spiegelt sich auch in der allgemeinen Inflationslage wider. Zwar sank die offizielle Inflationsrate im Mai auf 35,4 Prozent – der niedrigste Stand seit November 2021 –, doch unabhängige Ökonomen der Forschungsgruppe ENAG gehen von einer realen Teuerung von über 71 Prozent aus. Besonders betroffen sind Lebensmittel, darunter auch Fleisch: Ein Kilo Rindfleisch kostet inzwischen rund 490 Lira. Der Mindestlohn reicht damit nur noch für etwa 45 Kilo Fleisch – und das vor Abzug von Miete, Strom und anderen Lebenshaltungskosten.

Politischer Druck auf die Opposition

Neben der ökonomischen Krise sorgt eine neue Welle der Repression gegen die größte Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei) für zusätzliche Spannungen. Dutzende gewählte Funktionäre der Partei wurden in den letzten Monaten suspendiert oder festgenommen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kritisierte die CHP zuletzt öffentlich dafür, sich nicht an den traditionellen politischen Festtagsgrüßen zu beteiligen. In einer Videobotschaft warf er der Partei vor, sie wolle „niemandem ein gesegnetes Fest wünschen“ und forderte sie auf, zur „nationalen Einheit“ beizutragen.

CHP-Vorsitzender Özgür Özel antwortete vor dem Gefängnis in Silivri, wo elf gewählte CHP-Bürgermeister weiterhin inhaftiert sind: „Für uns ist kein Fest. Wir haben nichts zu feiern.“ Er warf Erdoğan vor, die Justiz zu missbrauchen, um demokratisch gewählte Amtsinhaber zu entmachten, die er an der Wahlurne nicht besiegen könne. Besonders brisant ist der Fall von Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, einem der schärfsten Kritiker Erdoğans. Er wurde im März wegen Korruptionsvorwürfen verurteilt – Vorwürfe, die er vehement zurückweist. Die Verurteilung löste die größten Proteste in der Türkei seit einem Jahrzehnt aus.

Am Donnerstag wurden fünf weitere CHP-Bürgermeister in Istanbul und Adana suspendiert, auch hier wegen angeblicher Korruptionsfälle. Kritiker sehen darin eine politische Säuberung und einen Versuch, die Opposition nach ihrem Wahlsieg im März 2024 – der ersten landesweiten Mehrheit der CHP seit 47 Jahren – systematisch zu schwächen.

“Ein Fest nur noch für Reiche”

Der CHP-Abgeordnete Aşkın Genç kritisierte am Donnerstag, dass das Opferfest für Millionen Familien seinen Sinn verloren habe. „Ein Kilo Rindfleisch kostet 490 Lira – das kann sich ein normaler Arbeiterhaushalt nicht mehr leisten“, so Genç. Selbst die staatliche Festprämie von 4.000 Lira für Rentner reiche kaum noch für einen symbolischen Anteil an einem Opfertier. „Millionen Familien können heute nicht einmal mehr Fleisch riechen“, sagte er. „Das Problem liegt nicht beim Volk, sondern bei denen, die regieren.“

Wohltätigkeitsorganisationen, die Spenden für Opfertiere im Ausland sammeln, geben an, dass die Kosten in der Türkei mittlerweile auf Augenhöhe mit Syrien und dem Libanon liegen – nur übertroffen vom Gazastreifen. In der Türkei beträgt der Preis für ein Opfertier etwa 420 Euro. Für viele ist das Fest damit zu einem Luxus für Wohlhabende geworden, während ärmere Familien außen vor bleiben.

Repression statt Versöhnung

Menschenrechtsgruppen und internationale Beobachter schlagen Alarm wegen der zunehmenden Repressionen in der Türkei. Die Verhaftung von Bürgermeistern und Journalisten sowie die politisch motivierte Nutzung der Justiz untergraben demokratische Standards und befeuern den autoritären Kurs der Regierung.

Die CHP kündigte an, ihren Boykott der politischen Festtagsgrüße fortzusetzen, bis alle inhaftierten Funktionäre freigelassen werden. Parteichef Özel sagte: „Wir werden kein politisches Klima legitimieren, in dem unschuldige Menschen hinter Gittern sitzen.“ Und fügte hinzu: „Niemand soll je ein solches Fest erleben müssen wie wir heute.“

No comments