Am türkisch-iranischen Grenzübergang Razi-Kapıköy herrscht Nervosität. Seitdem Israel vor sechs Tagen einen Angriff auf iranische Atomanlagen gestartet hat, eskaliert die Lage im Iran zusehends. Flüge nach Teheran wurden ausgesetzt, Menschen versuchen, das Land auf dem Landweg zu verlassen. Viele suchen Schutz in der Türkei.
„Die ersten zwei Tage dachten wir, es wäre bald vorbei. Aber dann wurde es ernst, und die Leute gerieten wirklich in Panik“, berichtet Mehran Ataei, ein 58-jähriger Iraner mit französischem Pass, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Er war am fünften Tag des Krieges aus Teheran geflohen.
Zusammen mit seiner 27-jährigen Tochter Lida Pourmomen steht er am Grenzübergang. „Es war sehr belastend, weil wir nicht zusammen abreisten. Die Nacht auf Dienstag war die schlimmste bisher in Teheran“, sagt sie. „Als meine Mutter gegangen war, hatte ich das Gefühl, der Himmel würde zerreißen. Ich dachte, ich sehe sie nie wieder.“
Die beiden waren ursprünglich für Samstag auf einem Flug nach Paris gebucht, doch der wurde gestrichen. In ihrer Verzweiflung kontaktierten sie mehrfach die französische Botschaft. Erst am Montag erreichten sie jemanden – mit der Empfehlung, in Teheran zu bleiben. Eine offizielle E-Mail mit der Aufforderung zur Ausreise wurde erst am Dienstag verschickt.
„Aber es gibt kaum Internetzugang – vielleicht zwei oder drei Stunden am Tag. Viele haben die Nachricht daher vermutlich gar nicht erhalten“, so Pourmomen. „Wenn wir nicht selbst beschlossen hätten zu gehen, weiß ich nicht, was passiert wäre“, ergänzt ihre Mutter. Nun stehen ihnen 25 Stunden Busfahrt nach Istanbul bevor – und erst dann der Flug zurück nach Frankreich.
Bomben, Cyberangriffe, Hunger
Am Donnerstagmorgen zählte ein AFP-Korrespondent Dutzende Neuankömmlinge an der Grenze. Laut türkischem Verteidigungsministerium sei die Zahl der Einreisen dennoch nicht deutlich gestiegen.
„Am Anfang waren es nur ein paar Bomben, aber dann wurde es sehr schlimm“, sagt eine 50-jährige Pharmazeutin aus Melbourne, die anonym bleiben möchte. Sie war nach Teheran gereist, um ihre kranke Mutter zu besuchen – doch die Situation eskalierte.
„Gestern fiel das Internet komplett aus. Zwei große Banken wurden gehackt – die Leute konnten nicht mehr an ihr Geld. Und es gibt nicht mal genug Essen“, berichtet sie. Viele versuchten sich in den Norden der Stadt zu retten – „aber auch dort ist es nicht sicher.“
„Wir hatten früher schon Krieg, aber dieser ist besonders brutal und unvorhersehbar“, sagt sie weiter.
„Die Menschen sind zu verängstigt, um etwas zu ändern“
Trotz des weitverbreiteten Leidens glaubt sie nicht daran, dass sich etwas ändern wird. „Man erwartet, dass das Volk das Regime stürzt, aber das ist nicht realistisch. Die Menschen sind verängstigt, das Regime ist brutal.“
Auch gegenüber den USA äußert sie Misstrauen – trotz der konfrontativen Rhetorik von Ex-Präsident Donald Trump: „Alle wissen, dass Khamenei das Problem ist. Aber Trump sagt, er will ihn nicht töten. Wenn er den Krieg wirklich beenden wollte, warum dann solche Aussagen?“
„Trump tut nur so, als wolle er den Krieg stoppen. In Wahrheit stützt Amerika dieses diktatorische Regime“, meint sie.
Ein weiterer Flüchtender, der 69-jährige Rentner Ismail Rabie auf dem Weg zurück nach London, sieht das ähnlich: „Alles hängt von Amerika oder Europa ab. Wenn sie Veränderung wollen, wird sie kommen. Wenn nicht, dann nicht.“
Die Stimmen an der Grenze sprechen von Angst, Verzweiflung und einer tiefen Ohnmacht gegenüber einem Krieg, dessen Ende nicht in Sicht ist – und dessen Folgen längst nicht nur den Iran betreffen.
No comments