Die Tochter des 2007 in der osttürkischen Stadt Malatya brutal ermordeten deutschen Missionars Tilmann Ekkehart Geske steht nach fast drei Jahrzehnten in der Türkei vor der Abschiebung. Das berichtete der türkische Dienst der Deutschen Welle am Freitag.
Michal Canina Geske, heute 31 Jahre alt, war erst drei Jahre alt, als sie mit ihrer Familie in die Türkei zog. Ihr Vater, Tilmann Geske, wurde gemeinsam mit den türkischen Konvertiten Necati Aydın und Uğur Yüksel in den Räumen des christlichen Zirve Verlags auf grausame Weise gefesselt, gefoltert und ermordet – ein Verbrechen, das als Wendepunkt für die christliche Minderheit in der Türkei gilt. Die Morde lösten damals international Entsetzen aus und nährten Sorgen über zunehmenden Nationalismus und Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten in dem mehrheitlich muslimischen EU-Beitrittskandidaten.
Trotz des Angriffs entschied sich die Familie Geske, in der Türkei zu bleiben. Michal studierte an einer Universität in Ankara und arbeitete später als Lehrerin an einer privaten Schule. Sie lebte bislang mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln – darunter Studien- und Arbeitserlaubnisse – im Land. Nachdem sie für ihre Promotion unbezahlten Urlaub genommen hatte, beantragte sie ein neues Studentenvisum, das jedoch abgelehnt wurde. Laut DW wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Aufenthaltstitel nicht verlängert werde.
Geske, die im September an der renommierten Middle East Technical University (ODTÜ) in Ankara ihre Dissertation verteidigen möchte, hat nun über ihren Anwalt Orhan Kemal Cengiz Klage beim Verwaltungsgericht Ankara eingereicht. Die Klage fordert eine Aussetzung und Aufhebung der Entscheidung mit Verweis auf deren Rechtswidrigkeit und Unverhältnismäßigkeit.
„Natürlich ist es für jeden schwer, den Vater zu verlieren, egal unter welchen Umständen“, sagte Geske im Gespräch mit der DW über den Mord an ihrem Vater. „Aber es gibt überall auf der Welt schlechte Menschen. Dieses furchtbare Verbrechen geschah in der Türkei, aber wir haben niemals das ganze Land dafür verantwortlich gemacht. Wir wären nicht hier geblieben, wenn wir das türkische Volk nicht lieben würden.“
Ihre Rückkehr in die Türkei nach einem Jahr in Deutschland sei eine bewusste Entscheidung gewesen: „Ich liebe die Türkei. Ich liebe es, hier zu leben. Die finanziellen Bedingungen sind in Deutschland besser, aber das Leben besteht nicht nur daraus. Meine Familie und mein soziales Umfeld sind hier.“
Ihr Anwalt Cengiz, der auch Nebenklagevertreter im Zirve-Prozess war, betont: „Jemand anderes wäre nach so einem Erlebnis sofort ausgereist und hätte sich gegen das Land gestellt. Doch hier ist das Gegenteil passiert – diese Familie hat alles getan, um zu bleiben.“
Statt Michal Geske abzuschieben, sollte der Staat sie schützen und anerkennen, so Cengiz. Seit der diplomatischen Krise rund um die Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson im Jahr 2016 verweigere die Türkei zunehmend protestantischen Geistlichen und Missionaren den Aufenthalt, erklärt der Anwalt. Obwohl Brunson 2018 auf US-Druck hin freikam, habe sich die restriktive Haltung fortgesetzt: Schätzungsweise 200 ausländische Protestanten und ihre Familien – insgesamt rund 500 bis 600 Personen – seien seither abgeschoben worden, häufig mit dem pauschalen Vorwurf, eine „Gefahr für die nationale Sicherheit“ darzustellen.
Laut Cengiz offenbaren Gerichtsakten und Verfassungsbeschwerden jedoch, dass es in Wahrheit um Missionstätigkeit gehe. Seit der Schließung des orthodoxen Priesterseminars auf der Insel Halki im Jahr 1971 fehlt christlichen Gemeinschaften in der Türkei eine Ausbildungsstätte für Geistliche. Gleichzeitig würden Versuche, ausländische Seelsorger ins Land zu holen, systematisch blockiert. Trotz verfassungs- und völkerrechtlicher Garantien für Religionsfreiheit betreibe die türkische Regierung faktisch eine Politik, die Präsenz christlicher – insbesondere protestantischer – Geistlicher im Land zu verhindern suche.
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