Dutzende Journalistinnen, Journalisten und Mitarbeiter des oppositionellen Fernsehsenders TELE1 haben am Freitag ihren Rücktritt erklärt, nachdem die türkische Regierung einen Treuhänder zur Leitung des Senders eingesetzt hatte. Zuvor war der Chefredakteur des Senders festgenommen worden, wie die Tageszeitung BirGün berichtete.
Die Rücktritte wurden vor dem Hauptsitz des Senders in İstanbul bekannt gegeben. Moderator Murat Taylan verlas dort eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel „Wir werden uns nicht ergeben“. Darin hieß es, dass die neue Treuhandverwaltung in die redaktionelle Linie eingegriffen und Nachrichtensendungen ausgesetzt habe. Das Team lehne die Vorgehensweise der Treuhänder entschieden ab.
Taylan erklärte, dass sich Moderatoren, Redakteure, Autoren von tele1.com.tr sowie Teile des Produktionsteams entschieden hätten, TELE1 unter der Treuhandverwaltung zu verlassen. „Das Erste, was der Treuhänder getan hat, war, unsere Nachrichtensendungen zu stoppen“, sagte er. „Jetzt werden auf TELE1 nur noch Dokumentationen ausgestrahlt.“
Der Moderator erinnerte daran, dass TELE1 in den vergangenen acht Jahren hunderte Journalistinnen und Journalisten sowie tausende Gäste zu Wort kommen ließ – stets im Interesse der Öffentlichkeit. Der Sender habe sich immer auf die Seite der „Arbeit, der Natur und der Unterdrückten“ gestellt und trotz Drohungen, wirtschaftlicher Blockaden und politischem Druck weitergesendet.
Die Entscheidung sei „kein Rückzug, sondern ein Akt des Widerstands“, betonte Taylan. Man werde den Kampf für unabhängigen Journalismus fortsetzen: „Wir werden entweder einen Weg finden oder einen schaffen.“
„Wir werden nicht zulassen, dass TELE1 Teil der ‚Pinguin-Medien‘ wird“, fügte er hinzu – eine Anspielung auf den berüchtigten Moment während der Gezi-Park-Proteste 2013, als türkische Fernsehsender statt der Proteste eine Pinguin-Dokumentation ausstrahlten.
Der kollektive Rücktritt folgte auf eine Gerichtsentscheidung vom 24. Oktober, mit der das Mutterunternehmen ABC Radyo Televizyon ve Dijital Yayıncılık A.Ş. unter die Verwaltung des Einlagensicherungsfonds (TMSF) gestellt wurde, der als Treuhänder fungiert.
Zum neuen Leiter wurde İbrahim Paşalı ernannt – ein Kolumnist der regierungsnahen Zeitung Yeni Şafak, der bereits zuvor als Treuhänder für andere Medien eingesetzt worden war.
TELE1-Chefredakteur Merdan Yanardağ, ein erfahrener Journalist und scharfer Kritiker von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, wurde am selben Tag im Rahmen einer Spionage-Ermittlung festgenommen. Diese Untersuchung umfasst auch den inhaftierten Bürgermeister von İstanbul, Ekrem İmamoğlu, sowie dessen Wahlkampfleiter Necati Özkan, die seit März wegen angeblicher Korruptionsdelikte in Haft sitzen. Alle weisen die Spionagevorwürfe zurück.
Die Übernahme von TELE1 markiert eine neue Eskalation im Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle und unabhängige Medien. Der TMSF kontrolliert derzeit mehr als 1.000 Unternehmen, die nach dem gescheiterten Putschversuch von 2016 wegen angeblicher Terrorverbindungen beschlagnahmt wurden.
Die Türkei, die seit Jahren eine schlechte Bilanz bei der Pressefreiheit aufweist, belegt im Welt-Pressefreiheitsindex 2025 von Reporter ohne Grenzen (RSF) Platz 159 von 180 Ländern. RSF nennt anhaltende Zensur, politisch motivierte Festnahmen und staatliche Kontrolle über die Medien als Hauptursachen für den weiteren Niedergang der Pressefreiheit.

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