Ein deutsches Verwaltungsgericht hat entschieden, dass Strafverfahren in der Türkei gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung unverhältnismäßig, diskriminierend und politisch motiviert sind. Selbst nach verbüßten Haftstrafen bestehe weiterhin die Gefahr erneuter Strafverfolgung, willkürlicher Sanktionen und staatlicher Repression. Diese Risiken rechtfertigten internationalen Schutz nach deutschem Asylrecht.
In einem Urteil vom 24. November 2025 gewährte das Verwaltungsgericht Sigmaringen einem türkischen Staatsangehörigen Asyl und Flüchtlingsschutz. Es hob damit eine frühere Ablehnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf und annullierte die Abschiebungsanordnung in die Türkei.
Der Kläger war in der Türkei wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt worden. Grundlage war der Terrorismus-Paragraf des türkischen Strafgesetzbuchs, der seit 2016 vielfach gegen mutmaßliche Unterstützer der Bewegung angewendet wird. Nach mehreren Jahren Haft kam der Mann Anfang 2023 auf Bewährung frei, reiste legal aus und beantragte in Deutschland Asyl.
Das BAMF hatte argumentiert, das Verfahren sei abgeschlossen und es gebe keine Hinweise auf eine erneute Verfolgung. Das Gericht widersprach jedoch deutlich. Die Richter stellten fest, dass bereits die ursprüngliche Verurteilung eine politisch motivierte Bestrafung darstelle und dass in der Türkei kein verlässlicher Schutz vor Doppelverfolgung bestehe. Auch nach Haftende drohten erneute Ermittlungen, Überwachung, Reisebeschränkungen oder Inhaftierung.
In seiner Begründung stützte sich das Gericht maßgeblich auf aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser hatte wiederholt festgestellt, dass türkische Gerichte Gülen-Anhänger auf Grundlage alltäglicher und legaler Handlungen verurteilt haben – etwa wegen der Nutzung der Messenger-App ByLock, eines Kontos bei der früheren Bank Asya oder der Wahl bestimmter Schulen für ihre Kinder. Solche Praktiken verstießen gegen das Prinzip der Gesetzmäßigkeit und das Recht auf ein faires Verfahren.
Das Gericht berücksichtigte zudem, dass der Kläger sich in Deutschland öffentlich kritisch zur türkischen Regierung geäußert und sich in gülen-nahen Kreisen engagiert hatte. Auch die Sperrung seines Social-Media-Kontos in der Türkei werteten die Richter als Hinweis auf fortbestehendes staatliches Interesse an seiner Person.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative innerhalb der Türkei schloss das Gericht aus, da die Bedrohung von staatlichen Stellen ausgehe und landesweit bestehe. Auch die legale Ausreise des Klägers sei kein Beleg für Sicherheit, sondern könne auf administrative Zufälle zurückzuführen sein.
Mit dem Urteil reiht sich die Entscheidung in eine wachsende Zahl deutscher Gerichtsentscheidungen ein, die türkischen Staatsangehörigen wegen Gülen-Verurteilungen Schutz gewähren. Die Richter betonten, ihre Entscheidung beruhe auf der konkreten Falllage und der aktuellen Menschenrechtssituation in der Türkei. Ob das BAMF Rechtsmittel einlegt, ist bislang offen.

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