Der frühere stellvertretende Polizeikommissar Hüseyin Korkmaz betont in einem letzten aufgezeichneten Interview mit Investigativ-Journalist Adem Yavuz Arslan, dass die von ihm mitgeleiteten Korruptionsermittlungen vom Dezember 2013, auf soliden Beweisen beruhten und keineswegs darauf abzielten, die türkische Regierung unter dem damaligen Premierminister und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen.
Hüseyin Korkmaz, 38, der nach einem langen Kampf gegen Krebs im Exil in den Vereinigten Staaten starb, äußerte sich in einem kurz vor seinem Tod aufgezeichneten Interview, das am Sonntag vom türkischen Journalist Adem Yavuz Arslan veröffentlicht wurde. In der Aufnahme schildert Korkmaz seine Sicht auf die Antikorruptionsoperation von 2013 – eine Ermittlung, die die türkische Politik erschütterte, internationale Aufmerksamkeit erregte und nur kurze Zeit später eine Welle von unter an der Ermittlung beteiligten Polizisten und Staatsanwälten führte:
Die Antikorruptionsermittlungen vom Dezember 2013 stellten einen entscheidenden Wendepunkt in der türkischen Politik dar. Unter der Leitung von Hüseyin Korkmaz, einem stellvertretenden Kommissar der Finanzkriminalitätsabteilung der türkischen Polizei, sowie anderen hochrangigen Polizeibeamten, deckten die Ermittlungen ein Netzwerk auf, das hochrangige Persönlichkeiten umfasste, darunter Mitglieder der Familie von Erdoğan, vier Kabinettsminister und Führungskräfte der staatlichen Halkbank. Die Untersuchung begann mit Vorwürfen der Bestechung und des Schmuggels, die vom iranisch-türkischen Goldhändler Reza Zarrab organisiert wurden, um die US-Sanktionen gegen den Iran zu umgehen. Sie weitete sich jedoch schnell aus und enthüllte die systemische Korruption auf den höchsten Regierungsebenen.
Am 17. Dezember 2013 durchsuchte die Polizei die Häuser und Büros der Hauptverdächtigen und beschlagnahmte dabei Millionen von Dollar in bar, die in Schuhkartons versteckt waren. Abgehörte Telefongespräche belasteten enge Vertraute Erdoğans, darunter seinen Sohn Bilal, schwer, indem sie ihre Rolle bei der Steuerung und Ermöglichung der illegalen Transaktionen aufzeigen. Die Enthüllungen erschütterten die Türkei, führten zum Rücktritt der vier Minister und lösten landesweite Proteste aus.
Die Erdoğan- Regierung reagierte jedoch auf die Ermittlungen, indem sie diese als einen von der Gülen-Bewegung orchestrierten Putschversuch darstellte – eine religiöse soziale Bewegung, die sich auf den inzwischen verstorbenen türkischen Prediger und Denker Fethullah Gülen beruft. Erdoğan wies die Vorwürfe als unbegründet zurück und beschuldigte die an der Untersuchung beteiligten Staatsanwälte und Polizisten, Teil eines „parallelen Staates“ zu sein, der darauf abziele, seine Herrschaft zu untergraben.
In dem Interview weist Korkmaz die Behauptungen der Erdoğan-Regierung zurück, dass es sich bei der Operation um einen „juristischen Putsch“ gehandelt habe, der von polizeilichen und juristischen Akteuren durchgeführt wurde, die dem Gelehrten Gülen nahestanden.
Die türkische Regierung beschuldigte Gülen, einen islamischen Gelehrten, der damals im selbst auferlegten Exil in den USA lebte und im Oktober 2024 starb, sowie seine Anhänger, eine sogenannte „Parallelstruktur“ aufgebaut zu haben. Nach einem Putschversuch im Juli 2016, den Erdoğan ohne Beweise Gülen und dessen Bewegung zuschrieb, folgte eine massive Verhaftungswelle und umfangreiche Säuberungen in den Bereichen Militär, Justiz, Medien und Bildung. Tausende mutmaßliche SympathisantInnen der Gülen-Bewegung wurden festgenommen, mit der Bewegung verbundene Institutionen geschlossen und Vermögenswerte beschlagnahmt. Dies stellt eine der größten Repressionswellen in der jüngeren türkischen Geschichte dar.
Korkmaz präsentierte im Interview Dokumente und Überwachungsprotokolle vor, die aus routinemäßigen Ermittlungsarbeiten stammten und die Grundlage für die Polizeirazzien bildeten. Er schilderte detailliert die monatelangen Bemühungen der Ermittler, verdächtige Banktransaktionen und Geldübergaben im Zusammenhang mit Reza Zarrab zu verfolgen. Laut Korkmaz ergaben die gesammelten Beweise ein klares Bild eines weitreichenden Korruptionsnetzwerks, das hochrangige Regierungsbeamte und Geschäftsleute umfasste.
„Es gab keinen Versuch, jemanden zu stürzen“, erklärt Korkmaz in dem Interview. „Wir waren Polizisten, die auf glaubwürdige Informationen über Bestechungen und geheime Absprachen reagierten.“ Er führt die Brisanz der Ermittlungen auf die Prominenz der in den Fall verwickelten Beamten sowie auf die großen Geldsummen zurück, die unter dem Deckmantel von Gold- oder Lebensmittelexporten flossen. Korkmaz betont, dass das Einheitsteam ordnungsgemäß vorgegangen sei, indem sie alle Beweise, die aktive Minister belasteten, wie gesetzlich vorgeschrieben, dem türkischen Parlament vorlegten.
Die türkischen Behörden jedoch stellten die Ermittlungen ein, entließen die an der Untersuchung beteiligten Polizisten aus ihren Ämtern und inhaftierten führende Figuren des Falls. Korkmaz selbst wurde 2014 verhaftet und verbrachte 17 Monate in Haft. In dem Interview gab er an, als Bedrohung für die nationale Sicherheit behandelt worden zu sein, weil die Ermittlungen das engste Umfeld Erdoğans umfassten.
Die Razzien, die am 17. und 25. Dezember 2013 stattfanden, deckten mutmaßliche Bestechungsgelder im Zusammenhang mit Bauprojekten, illegalen Finanzgeschäften und anderen Absprachen auf. Vier Minister traten infolge der öffentlichen Empörung zurück. Doch Erdoğan bezeichnete die Ermittlungen schnell als Verschwörung und behauptete, ein „paralleler Staat“ innerhalb der Strafverfolgungsbehörden habe versucht, seine Regierung in Verruf zu bringen. Regierungsnahe Medien veröffentlichten Schlagzeilen auf den Titelseiten, in denen die Operation als „Putschversuch“ bezeichnet wurde.
Hochrangige Polizeibeamte, die die Razzien geleitet hatten, darunter Korkmaz, wurden entlassen oder versetzt. Neben den Staatsanwälten, die an dem Fall arbeiteten, wurden sogar diejenigen, die als Unterstützer der Ermittlungen wahrgenommen wurden, ihrer Ämter enthoben, und viele von ihnen standen später selbst vor Gericht.
Nach seiner Freilassung im Februar 2016 floh Korkmaz aus der Türkei. Kurz darauf tauchte er in den Vereinigten Staaten auf, wo er vor einem Bundesgericht in New York aussagte und damit den Staatsanwälten half, Mehmet Hakan Atilla, einen Manager der Halkbank, anzuklagen. Korkmaz’ Aussagen unterstützten die Vorwürfe, dass türkische Banken eine Schlüsselrolle dabei spielten, Zarrab zu helfen, Milliarden aus iranischen Öleinnahmen zu waschen. Zarrab bekannte sich schuldig und wurde zu einem kooperierenden Zeugen. Er gab zu, Bestechungsgelder an hochrangige türkische Beamte gezahlt zu haben, um den Geldfluss aufrechtzuerhalten.
In dem Interview beklagt Korkmaz, dass seine ehemaligen Kollegen immer noch im Gefängnis sitzen, viele von ihnen mit langen Haftstrafen wegen angeblicher Beteiligung an dem sogenannten „parallelen Staat“. Er unterstreicht, dies seien ehrliche Beamte gewesen, die wie er auch den Beweisen gefolgt sind, wohin sie auch führten. „Sie haben ihre Arbeit gemacht“, sagt er. „Sie wurden bestraft, weil ihre Arbeit die Menschen in der Machtposition entlarvte.“ Er fügte hinzu, dass viele dieser Ermittler keine Verbindung zu einer politischen Gruppe hatten und ausschließlich deshalb ins Visier genommen wurden, weil sie Korruption verfolgten.
Korkmaz sieht die Nachwirkungen als einen Wendepunkt, der seiner Meinung nach die Gewaltenteilung untergrub und den Einfluss der Exekutive auf die Gerichte ermöglichte. Er verbindet die späteren politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes mit der Entscheidung, die Korruption zu ignorieren.
Korkmaz beendete das Interview, das in der letzten Phase seiner Krankheit aufgezeichnet wurde, mit der unmissverständlichen Aussage, dass er keine Reue empfinde. „Hätten sie keine Bestechungsgelder angenommen, hätten wir nicht handeln müssen“, sagte er. „Die Razzia war keine Wahl, sondern eine Pflicht.“
Er betonte gegenüber dem Journalisten Adem Yavuz Arslan, dass er hoffe, seine Worte würden sowohl in der Türkei als auch international Gehör finden und als Zeugnis dessen dienen, was im Dezember 2013 tatsächlich geschah.
Die Nachricht von seinem Tod in diesem Monat wurde von Menschenrechtsaktivisten und im Exil lebenden türkischen Dissidenten mit Würdigungen aufgenommen. Viele betrachten sein Leben als ein Symbol für Mut und Standhaftigkeit im Angesicht von Repression und Tyrannei.
No comments