Brüssel, Mai 2025 — Ein neuer Bericht der Menschenrechtsorganisation Solidarity with OTHERS mit dem Titel „Systematische Plünderung oppositioneller Vermögenswerte“ sorgt derzeit für Aufmerksamkeit. Die 62-seitige Untersuchung wirft der türkischen Regierung vor, seit Jahren systematisch das Justizwesen und staatliche Institutionen zu instrumentalisieren, um politische Gegner und kritische Unternehmer wirtschaftlich zu vernichten.
Dem Bericht zufolge wurden seit 2010 mehr als 1.100 Unternehmen – von global agierenden Exporteuren bis hin zu kleinen Familienbetrieben – zwangsenteignet. Der geschätzte Gesamtwert der beschlagnahmten Vermögenswerte liegt bei über 20 Milliarden US-Dollar.
Besonders alarmierend: Die Repression, die sich anfangs hauptsächlich gegen die Gülen-Bewegung richtete, soll sich inzwischen auf eine breite Palette oppositioneller Akteure erstrecken – darunter auch auf Unternehmen, die in Verbindung mit Ekrem İmamoğlu, Bürgermeister von Istanbul und führende Persönlichkeit der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), stehen.
Ein Wendepunkt: Die Übernahme von İmamoğlu Construction Inc.
Die jüngste Übernahme der İmamoğlu Construction Inc. durch die staatliche Treuhandbehörde (TMSF) wird in dem Bericht als „neue Eskalationsstufe“ bezeichnet. „Hier wird erstmals ein direkt gewählter Oppositionsführer ins Visier wirtschaftlicher Repression genommen“, heißt es in der Analyse. Die Einsetzung von staatlichen Treuhändern diene nicht nur der Bestrafung Einzelner, sondern solle auch eine abschreckende Wirkung auf andere politische und wirtschaftliche Akteure entfalten.
Während die türkische Regierung diese Maßnahmen als Teil ihrer Terror- und Korruptionsbekämpfung rechtfertigt, wirft Solidarity with OTHERS ihr vor, vage Anschuldigungen zu konstruieren und grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft zu setzen. Die Betroffenen hätten oft weder eine faire Gerichtsverhandlung noch effektive rechtliche Mittel zur Verteidigung.
Instrumentalisierung der Justiz als systematisches Unterdrückungswerkzeug
Die Recherchen zeichnen ein klares Muster:
- Strafrechtliche Ermittlungen auf Basis unscharfer Terrorismusvorwürfe,
- Willkürliche Verhaftungen von Eigentümern und Führungskräften,
- Gerichtliche Bestellung staatlicher Treuhänder, die die Kontrolle über die Unternehmen übernehmen.
Juristen, die für den Bericht befragt wurden, beschreiben die Gerichtsverfahren als „reine Formalitäten“, in denen eine tatsächliche Verteidigung nahezu unmöglich sei.
Internationale Kritik wächst
Die im Bericht geschilderten Praktiken bestätigen langjährige Bedenken internationaler Gremien wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen und Amnesty International. Diese hatten die Türkei wiederholt dafür kritisiert, Anti-Terror-Gesetze als Deckmantel für politische Repression zu missbrauchen.
„Hier wird staatliche Enteignung als Rechtsstaatlichkeit getarnt“, urteilt ein im Bericht zitierter europäischer Rechtsexperte. Dies untergrabe nicht nur die Glaubwürdigkeit der türkischen Justiz, sondern gefährde auch das Vertrauen internationaler Investoren.
Dringender Handlungsbedarf
Solidarity with OTHERS ruft die internationale Gemeinschaft auf:
- Eine engmaschige Überwachung der türkischen Justizpraxis einzuführen,
- Eine unabhängige internationale Untersuchungskommission einzusetzen,
- Sanktionen gegen Verantwortliche für rechtswidrige Unternehmensübernahmen zu verhängen,
- Und umfassende Reformen zur Wiederherstellung von Eigentumsrechten und rechtsstaatlichen Standards einzufordern.
Demokratie unter Beschuss
Der Bericht ordnet die Zwangsübernahmen in einen größeren politischen Kontext ein: Seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 habe Präsident Recep Tayyip Erdoğan einen autoritären Staatsumbau betrieben, bei dem nicht nur Unternehmen, sondern auch Medien, Universitäten und die gesamte Zivilgesellschaft systematisch unter staatliche Kontrolle gestellt worden seien.
„Es geht nicht nur um Vermögen. Es geht darum, politische Alternativen zu eliminieren und den Machterhalt der Regierung zu sichern“, lautet eine der zentralen Schlussfolgerungen.
Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2028 warnen Menschenrechtsorganisationen vor einer weiteren Zuspitzung der politischen Repression.
Den vollständigen Bericht finden Sie hier:https://www.solidaritywithothers.com/_files/ugd/b886b2_82f89b871a0749fabdc099d1712ec466.pdf
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