Die türkische Justiz hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, öffentlich irreführende Informationen über einen prominenten Korruptionsfall verbreitet zu haben. Hintergrund ist eine Rede, in der Özel der Regierung eine politisch motivierte Verschwörung zur Übernahme einer zentralen CHP-geführten Gemeinde unterstellte.
Die Generalstaatsanwaltschaft von Antalya teilte am Dienstagabend mit, sie habe auf Grundlage von Artikel 217/A des türkischen Strafgesetzbuchs ein Ermittlungsverfahren gegen Özel eingeleitet. Demnach habe der Oppositionsführer bei einer Kundgebung im Süden des Landes eine Korruptionsermittlung als “inszeniert” dargestellt und dadurch öffentliche Ordnung und Vertrauen in die Justiz gefährdet.
Baklava-Video als Auslöser
Im Zentrum der Affäre steht die CHP-regierte Stadt Manavgat in der südtürkischen Provinz Antalya. Dort kursierte vergangene Woche ein Video, das angeblich zeigt, wie ein stellvertretender Bürgermeister ein Bestechungsgeld entgegennimmt – versteckt in einer Schachtel Baklava. Die türkischen Behörden nahmen daraufhin den Bürgermeister, seinen Stellvertreter sowie mehrere Mitglieder des Stadtrats fest. Das Innenministerium setzte den Bürgermeister kurz darauf vorläufig ab.
Özel spricht von “Verschwörung”
Bei einer Rede am Dienstagabend in Antalya wies Özgür Özel die Vorwürfe zurück. Das gesamte Szenario sei eine Inszenierung, erklärte er. „Dieser Baklava-Verkäufer wurde einen Monat lang trainiert“, rief Özel seinen Anhängern zu. „Wir verfügen über 32 Stunden Videomaterial. Jede Minute wurde geplant. Es war eine Verschwörung.“
Laut Özel sei das Video gezielt zu einem Zeitpunkt veröffentlicht worden, als die Regierungspartei AKP versuchte, die Kontrolle über die Stadtverwaltung durch die temporäre Schwächung der CHP-Mehrheit im Stadtrat zu übernehmen. Er warf der Staatsanwaltschaft, Mitgliedern des Stadtrats und sogar der örtlichen Wahlleitung – deren Vorsitzende mit dem leitenden Staatsanwalt verheiratet sein soll – vor, Teil eines koordinierten Plans zu sein, um die Stadt „zu stehlen“.
„Das Ziel war eindeutig“, so Özel. „Vier Ratsmitglieder verhaften, die Mehrheit kippen und eine lokale Wahl inszenieren – ohne dass eine einzige Stimme abgegeben wird.“
Justiz weist Vorwürfe zurück
Die Staatsanwaltschaft in Antalya wies Özel scharf zurecht. Seine Aussagen seien „unwahr und geeignet, die öffentliche Ordnung zu stören“. Das Verfahren sei von Amts wegen eröffnet worden – also ohne formale Anzeige –, da die Vorwürfe geeignet seien, das Vertrauen in die Justiz ernsthaft zu untergraben.
Es ist das erste Mal, dass der Vorsitzende der größten Oppositionspartei in der Türkei unter dem umstrittenen Desinformationsgesetz von 2022 strafrechtlich belangt wird. Kritiker sehen in dem Gesetz ein Mittel zur Unterdrückung oppositioneller Stimmen und unabhängiger Berichterstattung.
Video authentisch – aber manipuliert?
Özel bestritt nicht die Echtheit des Videos, in dem der stellvertretende Bürgermeister die mit Geld gefüllte Baklava-Schachtel entgegennimmt. Die Polizei hatte das Geld unmittelbar nach der Übergabe entdeckt. Allerdings wies Özel darauf hin, dass die gefilmte Person bereits in der Vergangenheit mit Alkohol- und Drogenbesitz aufgefallen sei und das Videomaterial gezielt geschnitten worden sei, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken.
Nach seinen Angaben wurde der Mann kurz nach seiner ersten Festnahme wieder freigelassen – und habe anschließend mit den Behörden kooperiert, um Beweise gegen den Bürgermeister zu fabrizieren. „Er wurde zum Komplizen gemacht“, so Özel.
Innenministerium greift durch
Das Innenministerium kündigte am Dienstag an, dass Manavgats Bürgermeister Niyazi Nefi Kara nach seiner Festnahme im Zuge der Ermittlungen wegen Erpressung, Bestechung und Veruntreuung seines Amtes enthoben worden sei. Die CHP hat bislang keinen der Festgenommenen aus der Partei ausgeschlossen, jedoch eine interne Untersuchung eingeleitet.
Kampf um eine Schlüsselstadt
Manavgat zählt zu den strategisch bedeutendsten Städten der Region. Die Touristenhochburg ist politisch hart umkämpft. Özel warf der AKP vor, die Festnahmen von CHP-Ratsmitgliedern genutzt zu haben, um das Kräfteverhältnis im Stadtrat kurzfristig zu kippen und eine Neuwahl des Bürgermeisters einzuleiten – ein Manöver, das der Regierungspartei die Kontrolle über die Stadt verschafft hätte.
Zudem beschuldigte Özel die lokale Staatsanwaltschaft, ihre Maßnahmen zeitlich so abgestimmt zu haben, dass eine rechtliche Reaktion des Hohen Wahlrats (YSK) verhindert würde. Der YSK entschied später zugunsten der CHP, die die durch die Festnahmen frei gewordenen Stadtratsmandate nachbesetzen durfte. Laut Özel sei die Vorsitzende des örtlichen Wahlrats daraufhin krankgeschrieben worden, um die Umsetzung des YSK-Beschlusses zu verzögern.
Systematischer Druck auf CHP-Kommunen
Der Fall Manavgat steht in einem größeren Kontext: Seit dem Erdrutschsieg der CHP bei den Kommunalwahlen im März 2024 geht die Regierung verstärkt gegen von der Opposition geführte Rathäuser vor. In den vergangenen zwölf Monaten wurden landesweit sechzehn CHP-Bürgermeister inhaftiert, ein weiterer steht unter Hausarrest. Menschenrechtsorganisationen sprechen von der massivsten Repressionswelle gegen die Opposition seit den Militärjahren der 1980er.
Main opposition leader under investigation for calling bribery case against mayor a setup

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