Die Republikanische Volkspartei (CHP), größte Oppositionspartei der Türkei, hat am Freitag Strafanzeige wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der diesjährigen Aufnahmeprüfung für weiterführende Schulen (LGS) gestellt. Hintergrund sind Vorwürfe, dass Prüfungsfragen bereits während der laufenden Prüfung digital verbreitet wurden und auffällig hohe Erfolgsquoten an bestimmten Schulen systematischen Betrug nahelegen könnten.
CHP-Abgeordnete hielten vor dem Gerichtsgebäude in Ankara eine Pressekonferenz ab und warfen dem Bildungsministerium vor, die Integrität der Prüfung nicht ausreichend gesichert und den Vorfall vertuscht zu haben. „Schon während die Prüfung noch lief, zirkulierte das vollständige Fragenheft als digitale Kopie in WhatsApp-Gruppen“, sagte CHP-Abgeordneter Suat Özçağdaş.
Besonders misstrauisch macht viele die sprunghafte Zunahme der Maximalpunktzahlen: 2025 erzielten 719 Schüler:innen die Höchstpunktzahl von 500 Punkten – mehr als doppelt so viele wie 2024 und deutlich mehr als die 18 Spitzenleistungen im Jahr 2018. Auffällig viele Top-Ergebnisse kamen von Imam-Hatip-Schulen in Bursa, Antalya und Trabzon.
Während das Bildungsministerium zunächst jede Sicherheitslücke abstritt, räumte Minister Yusuf Tekin zwei Tage später ein, dass Ermittlungen gegen 29 Personen, darunter ein Schulleiter, eingeleitet wurden. Gleichwohl behauptete Tekin, dass die online kursierenden Materialien nicht aus offiziellen Quellen stammten und „kein Diebstahl von Prüfungsfragen“ vorliege.
Trotz dieser Einlassungen entließ das Ministerium den langjährigen IT-Leiter Özgür Türk, was den Widerspruch zur offiziellen Linie unterstreicht. „Wenn alles in Ordnung ist, warum wurde der IT-Direktor abgesetzt?“, fragte Özçağdaş.
Die oppositionellen Parteien CHP, DEM und İYİ fordern umfassende Aufklärung, u.a. die Veröffentlichung detaillierter Leistungsdaten und eine Offenlegung der Erstellung und Absicherung der Prüfungsfragen. Auch Elternverbände und Bildungsgewerkschaften übten scharfe Kritik und warfen dem Ministerium vor, die soziale Ungleichheit zu verschärfen.
Präsident Erdoğan wies die Vorwürfe zurück und bezeichnete sie als „Angriff auf Imam-Hatip-Schulen“ und „unsere Kinder“. Er unterstellte der Opposition, mit „Lügen und Verleumdungen“ von politischen Niederlagen ablenken zu wollen.
Kritiker sehen in der Kontroverse ein weiteres Beispiel für den schwindenden Leistungsprinzip in öffentlichen Institutionen. Während frühere Vorwürfe gegen die Gülen-Bewegung trotz geringer Beweise zu langjährigen Kampagnen führten, werde der aktuelle Skandal – obwohl durch digitale Belege gestützt – heruntergespielt.
Mit Blick auf die Veröffentlichung der Platzierungsergebnisse am 4. August wächst das öffentliche Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen.

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