Vertrauen in türkische Wirtschaftspolitik auf historischem Tiefstand – Rücktrittsgerüchte um Finanzminister Şimşek

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Das Vertrauen der türkischen Bevölkerung in das wirtschaftspolitische Management der Regierung ist auf ein neues Rekordtief gesunken. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage des regierungsnahen Meinungsforschungsinstituts GENAR hervor. Die Veröffentlichung der Ergebnisse fällt zusammen mit wachsenden Spekulationen über einen möglichen Rücktritt von Finanz- und Schatzamtsminister Mehmet Şimşek.

Laut der GENAR-Umfrage gaben nur 4,1 Prozent der Befragten an, „starkes Vertrauen“ in die wirtschaftliche Führung des Landes zu haben. Dagegen äußerten über 50 Prozent, sie hätten keinerlei Vertrauen. Besonders brisant: Die Zahlen stammen aus einem Institut, das der Regierungspartei AKP nahesteht.

Şimşek im Kreuzfeuer – Rücktritt im Herbst möglich?

Ein Bericht der erfahrenen Journalistin Nuray Babacan in der Zeitung Nefes brachte weitere Bewegung in die Debatte: Demnach soll Şimşek zunehmend frustriert sein über innerparteiliche Kritik und den Druck regierungsnaher Interessengruppen, insbesondere in Bezug auf Kredite und Aufsichtserleichterungen. Babacan berichtet, Şimşek habe sich jüngst gegenüber Präsident Erdoğan beklagt: „Ich verstehe die Kritik der Opposition, aber das Verhalten unserer eigenen Leute ist in so schwierigen Zeiten nicht nachvollziehbar.“

Gerüchte um einen möglichen Rücktritt im Herbst und eine Nachfolge durch Vizepräsident Cevdet Yılmaz wurden prompt von offizieller Seite dementiert. Das Desinformationsüberwachungszentrum (DMM), eine Behörde der türkischen Kommunikationsdirektion, bezeichnete die Spekulationen als „haltlos, spekulativ und irreführend“. Man wolle mit solchen Berichten Investoren verunsichern und die wirtschaftlichen Pläne der Regierung torpedieren, so das DMM. Minister Şimşek setze seine Arbeit fort, hieß es in der Erklärung weiter.

Wirtschaftspolitische Brüche in der Regierung

Ungeachtet des Dementis zeigt der Konflikt tiefere Risse innerhalb der Regierungskoalition. Trotz der von Şimşek angestoßenen Reformen – darunter eine Zinsanhebung auf zeitweise 50 Prozent und die Abschaffung der lira-gestützten Einlagen – leidet die Bevölkerung weiterhin unter massiver Teuerung.

Inflation als Hauptsorge der Bevölkerung

Laut der GENAR-Umfrage betrachten 46,3 Prozent der Bürger die Inflation als drängendstes wirtschaftliches Problem. Arbeitslosigkeit (20,4 %), Zinssätze (17,1 %) und Wechselkursschwankungen (10,6 %) folgen mit Abstand. Besonders Frauen und junge Menschen zeigten sich im Vergleich zu anderen Gruppen etwas optimistischer – das allgemeine Misstrauen bleibt jedoch hoch.

Zweifel an offiziellen Inflationszahlen

Ein zusätzlicher Zündstoff in der öffentlichen Debatte sind die stark abweichenden Inflationszahlen. Während das türkische Statistikamt TurkStat für Juni eine Jahresinflation von 35,05 Prozent meldete, kam das unabhängige Institut ENAG auf 68,68 Prozent. Diese Diskrepanz hat direkte Auswirkungen auf Millionen von Rentnern und Staatsbediensteten, deren Einkommensanpassungen an die offiziellen Zahlen gekoppelt sind.

Zunehmender Druck auf Şimşek

Mehmet Şimşek, der 2023 als Hoffnungsträger internationaler Investoren zurück ins Kabinett geholt wurde, versprach eine Rückkehr zur orthodoxen Wirtschaftspolitik. Doch innerparteilicher Widerstand und Einflussnahme regierungsnaher Wirtschaftsakteure erschweren offenbar seine Arbeit. Auch Medien, die bisher als AKP-freundlich galten, kritisieren Şimşek zunehmend offen.

Während der Minister weiterhin öffentlich betont, bis zur nächsten Wahl im Amt bleiben zu wollen, mehren sich die Anzeichen, dass politische Grabenkämpfe seine Position zunehmend schwächen.

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