Ebru Kaymak
Am 23. Juli 2025 wurde die neue Social-Media-Plattform Next Sosyal von dem Schwiegersohn Erdogans offiziell vorgestellt – begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit. Die App wurde als einheimisches, werbefreies und algorithmusfreies soziales Netzwerk vorgestellt. Transparenz, Datenschutz und Einsatz ethischer Künstlicher Intelligenz (T3 AI) wurden in den Mittelpunkt gestellt. Die Plattform war sofort erfolgreich: Bereits wenige Tage nach dem Launch belegte sie den ersten Platz in den türkischen App-Stores.
In offiziellen Verlautbarungen und Medienberichten wurde Next Sosyal als „lokal entwickelt“ und „von Grund aufgebaut“ beschrieben. Begriffe wie „yerli ve milli“ („einheimisch und national“) bestimmten die Schlagzeilen. Die Entwickler betonten die vollständige Kontrolle über Infrastruktur und Technologie – ein entscheidender Punkt in einem Land, indem das Regime in allen Bereichen auf Souveränität setzt. Auf das Wort ,,Kontrolle“ reagierten die Social-Media Nutzer auf X ambivalent. Die Türkei ist bekannt für digitale Zensur: Hunderttausende blockierte Accounts und Strafverfahren aufgrund von Veröffentlichungen auf Social-Media Kanälen sind zum Alltag geworden.
Die Entdeckung: Es basiert auf Mastodon
Nur kurze Zeit nach dem Start begannen Nutzer:innen, die Plattform näher unter die Lupe zu nehmen. Schon beim Registrierungsprozess wurde deutlich: Der Server ist ein klassischer Mastodon-Server – lediglich mit einer leicht angepassten Oberfläche. Hinweise auf Mastodon wurden von der Website entfernt.
Mastodon ist ein freies, dezentrales soziales Netzwerk, das 2016 vom deutschen Entwickler Eugen Rochko gegründet wurde. Es basiert auf dem ActivityPub-Protokoll, das es ermöglicht, Inhalte zwischen verschiedenen Servern („Instanzen“) auszutauschen. Gemeinsam bilden sie das sogenannte Fediverse.
Lizenzpflichten nicht nachgekommen
Die Nutzung von Open-Source-Software ist legal und sogar ausdrücklich erwünscht. Was jedoch für Irritation sorgte, war weniger die technische Grundlage als die Art der Kommunikation rund um den Launch von Next Sosyal. Kritik entzündete sich daran, dass der Eindruck vermittelt wurde, es handele sich um eine komplett neu entwickelte Plattform, die vor allem als einheimisch und national vermarktet wurde.
Laut Mastodon-Mitarbeitern gegenüber Deutsche Bold versuchte man bereits seit dem 8. Juli mehrfach per E-Mail, die Betreiber auf ihre Lizenzpflichten hinzuweisen. Diese Versuche blieben jedoch erfolglos:
„Nach mehreren Hinweisen aus der Öffentlichkeit am Wochenende des 27.–28. Juli hat unser offizieller X-Account am 29. Juli auf einen prominenten Beitrag über Next Sosyal öffentlich geantwortet – in einem weiteren Versuch, mit den Betreibern in Kontakt zu treten.“
Mittlerweile habe Next Sosyal angekündigt, den vollständigen Quellcode gemäß den Vorgaben der AGPL-Lizenz in Kürze zu veröffentlichen.
Im Gegensatz zu zentralisierten Netzwerken wird Mastodon nicht von einem Konzern betrieben, sondern von einer Vielzahl unabhängiger Serverbetreiber. Nutzer*innen können sich auf beliebigen Instanzen registrieren und dennoch mit allen anderen im Fediverse kommunizieren.
Mastodon wird unter der AGPL-Lizenz veröffentlicht. Jeder darf die Software nutzen, anpassen und selbst betreiben sofern die Lizenzbedingungen eingehalten werden. Dass Mastodon Open Source ist, bedeutet konkret: Die Software darf kostenlos genutzt, verändert und veröffentlicht werden – jedoch unter Einhaltung der Lizenzbedingungen (AGPL). Laut Mastodon beinhaltet diese Lizenz eine besondere Verpflichtung:
„Wenn Sie ein modifiziertes Programm auf einem Server betreiben und anderen Nutzern den Zugriff ermöglichen, muss Ihr Server auch den Quellcode der darauf laufenden modifizierten Version zum Download anbieten. Außerdem muss „ein Mastodon-Server mindestens auf der Hauptseite einen sichtbaren Link zum Quellcode der eingesetzten Software bereitstellen“.
Was ist eine Open-Source-Lizenz?
Die AGPL (GNU Affero General Public License Version 3) ist eine spezielle Open-Source-Lizenz, die entwickelt wurde, um Freiheit und Transparenz im Umgang mit Software auch im Zeitalter von Web- und Cloud-Diensten sicherzustellen. Sie verpflichtet jeden, der Software nutzt, verändert und öffentlich zugänglich macht, auch den zugehörigen Quellcode offen zu legen.
Im Unterschied zu anderen Open-Source-Lizenzen genügt es bei der AGPL nicht, die Software nur im Falle einer Weitergabe zu veröffentlichen. Bereits der öffentliche Betrieb über das Internet verpflichtet dazu, den modifizierten Code zugänglich zu machen.
Die Lizenz soll verhindern, dass Unternehmen freie Software als Basis verwenden, sie für eigene Zwecke anpassen und anschließend als geschlossene, kommerzielle Lösung einsetzen, ohne etwas zur Community zurückzugeben.
Wird Software unter AGPL verändert und öffentlich genutzt, muss der angepasste Quellcode offengelegt und der Hinweis auf die ursprüngliche Lizenz sichtbar beibehalten werden. Wer dies unterlässt oder verschweigt, verstößt gegen die Lizenzbedingungen, mit möglichen rechtlichen Konsequenzen.
Im Kern geht es bei der AGPL um Fairness und Offenheit: Wer auf der Arbeit anderer aufbaut, soll selbst transparent handeln und anderen ermöglichen, vom eigenen Code zu lernen oder ihn weiterzuentwickeln.
                                    
                                        
        
        
                
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