US-Bericht: Folter, Zensur und willkürliche Festnahmen in der Türkei

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Die Türkei hat im Jahr 2024 weitreichende Menschenrechtsverletzungen begangen – darunter rechtswidrige Tötungen, Folter, willkürliche Festnahmen, Medienzensur und transnationale Repression. Das geht aus einem neuen Bericht der US-Regierung hervor.

Der Bericht „Türkiye (Turkey) 2024 Human Rights Report“, veröffentlicht vom US-Außenministerium im Rahmen der 2024 Country Reports on Human Rights Practices, kommt zu dem Schluss, dass es glaubwürdige Belege für schwerwiegende Übergriffe türkischer Behörden gegen Journalist:innen, politische Gegner:innen, Flüchtlinge und Angehörige der Gülen-Bewegung gebe.

Im Abschnitt „Recht auf Leben“ heißt es, Sicherheitskräfte seien in rechtswidrige Tötungen verwickelt gewesen. Unter Berufung auf einen Bericht von Human Rights Watch schildert der Text, wie türkische Grenzsoldaten im März 2023 acht Syrer an der Grenze misshandelten, wobei ein Junge und ein Mann starben. Bis Oktober sei in dem Fall kein Verfahrensfortschritt bekannt geworden. Die Regierung habe zudem keine Bemühungen offengelegt, Personal wegen ziviler Todesopfer im Zusammenhang mit Antiterror-Operationen zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen. Ferner wird ein mutmaßlicher türkischer Drohnenangriff im Norden Syriens erwähnt, bei dem im Dezember ein als „Presse“ gekennzeichnetes Fahrzeug getroffen und zwei Journalisten getötet wurden.

Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppen im Norden Syriens werden in dem Bericht außergerichtlicher Tötungen, willkürlicher Inhaftierungen, Folter, Plünderungen und der Rekrutierung von Kindersoldaten beschuldigt. Die Türkei bleibt auf der US-Liste der Staaten, die bewaffnete Gruppen unterstützen, welche Kindersoldaten einsetzen. Der Bericht verweist außerdem auf Erkenntnisse der Vereinten Nationen, wonach türkische Beamte an einigen Haftorten anwesend gewesen sein sollen, an denen gefoltert wurde.

Der Bericht konstatiert zudem gravierende Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit. Staatsanwälte hätten weit gefasste Gesetze zur „Präsidentenbeleidigung“ und zur „Verbreitung falscher Informationen“ genutzt, um Kritiker zu verhaften und abschreckend auf die öffentliche Rede zu wirken. Behörden könnten innerhalb weniger Stunden Inhalte löschen oder ganze Internetseiten sperren lassen. Demnach blockierten die Behörden mehr als 953.000 Domains, 260.000 URLs und 67.100 Beiträge auf X (ehemals Twitter) und schränkten den Zugang zu VPN-Diensten und Cloud-Anwendungen ein.

Eine Frau namens Dilruba aus Izmir wurde verhaftet, nachdem sie in einem Straßeninterview ein neuntägiges Instagram-Verbot kritisiert hatte. Ihr wurde „Präsidentenbeleidigung“ und „Anstiftung zu Hass“ vorgeworfen. Die staatliche Rundfunkaufsicht entzog dem Sender Açık Radyo die Sendelizenz, nachdem ein Gast den Begriff „Armenischer Völkermord“ verwendet hatte. Der Bericht beschreibt auch, wie die Polizei Journalisten daran hinderte, über Proteste in Van zu berichten, und diese teilweise in Gewahrsam nahm, nachdem der gewählte Bürgermeister nicht ins Amt gelassen worden war.

Das US-Außenministerium hebt den verbreiteten Einsatz langer Untersuchungshaft hervor, insbesondere in politisch heiklen Fällen, oft über die gesetzlich zulässigen Fristen hinaus. Die frühere Ko-Bürgermeisterin von Diyarbakır, Gültan Kışanak, habe vor ihrer Freilassung sieben Jahre in Untersuchungshaft verbracht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, dies habe ihre Rechte verletzt. Im September machten Untersuchungshäftlinge 52.000 Personen – 15 Prozent der Gefängnisinsassen – aus. In den Haftanstalten wurden Zehntausende Verstöße gemeldet, darunter Folter, willkürliche Einschränkungen und die Verweigerung von Bewährung für politische Gefangene.

Folter und Misshandlung hielten dem Bericht zufolge an, insbesondere gegen mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung. Das Außenministerium verweist auf Berichte von sechs UN-Sonderberichterstattern und dem Vorsitzenden der UN-Arbeitsgruppe zu erzwungenem oder unfreiwilligem Verschwindenlassen, wonach Kinder mit angeblicher Verbindung zur Bewegung „körperlich gefoltert“ und mit Schlägen bedroht worden seien, die so schwer gewesen seien, dass sie „Blut erbrechen“ könnten. Menschenrechtsorganisationen berichteten von weiteren Misshandlungen von Häftlingen mit vermeintlichen Gülen-Verbindungen, darunter Schläge und Übergriffe sowohl an offiziellen als auch an inoffiziellen Haftorten.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan verfolgt Anhänger der von dem im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen inspirierten Bewegung seit 2013, als Korruptionsermittlungen gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan sowie Mitglieder seiner Familie und seines Umfelds eingeleitet wurden. Erdoğan wies die Vorwürfe als „Gülenistischen Putsch“ und Verschwörung gegen seine Regierung zurück und begann, die Bewegung ins Visier zu nehmen. Im Mai 2016 stufte er sie als Terrororganisation ein und verschärfte die Repression nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli desselben Jahres, für den er Gülen verantwortlich machte. Die Bewegung weist eine Beteiligung an dem Putschversuch oder jegliche terroristische Aktivitäten zurück.

Das Außenministerium erklärte, der türkische Geheimdienst sei glaubwürdig beschuldigt worden, mutmaßliche Mitglieder der Bewegung im Ausland entführt und zur Strafverfolgung in die Türkei zurückgebracht zu haben. Im Oktober bestätigten die kenianischen Behörden, vier registrierte türkische Flüchtlinge auf Ankaras Wunsch abgeschoben zu haben – trotz ihres Schutzstatus bei den Vereinten Nationen.

Ferner habe Ankara bilateralen Druck auf verschiedene Regierungen ausgeübt, um Auslieferungen ohne vollständige Rechtsverfahren zu erreichen, häufig unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung.

Die Türkei habe laut Bericht versucht, das Fahndungssystem von Interpol (Red Notice) zur Verfolgung mutmaßlicher Bewegungsmitglieder im Ausland zu nutzen. Zudem habe Ankara die Interpol-Datenbank für verlorene oder gestohlene Pässe eingesetzt, um Reisen für im Exil lebende Unterstützer der Bewegung zu blockieren, was einige in einer Art Staatenlosigkeit zurückließ. Angehörige von Geflohenen berichteten von Drohungen und Einschüchterungen, um Aufenthaltsorte zu erfahren oder Rückkehr zu erzwingen.

Im Inland verweigerten die Behörden bisweilen auch Personen unter Ermittlungen die Ausstellung von Pässen, indem sie diese als „reiseunfähig“ erklärten – noch vor einem Gerichtsurteil.

Zwar arbeitete die türkische Regierung weiterhin mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk zusammen, verschärfte jedoch das Vorgehen gegen Migranten ohne gültige Papiere, erhöhte Abschiebungen und Polizeirazzien. Nichtregierungsorganisationen beklagten Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip, Misshandlungen in Abschiebezentren und Druck zu „freiwilligen“ Rückführungen in unsichere Gebiete Syriens.

Die jüdische Gemeinschaft in der Türkei, auf bis zu 16.000 Personen geschätzt, war weiterhin antisemitischen Anfeindungen in Medien und sozialen Netzwerken sowie öffentlicher Belästigung ausgesetzt. Die Spannungen nahmen nach dem Angriff der Hamas auf Israel 2023 zu.

Die Rechte von Arbeitnehmern wurden durch Einschränkungen bei Gewerkschaftsgründung, Tarifverhandlungen und Streiks beschnitten. Der Mindestlohn blieb unterhalb der Armutsgrenze; in Branchen wie Bergbau und Bauwesen herrschten weiterhin unsichere Arbeitsbedingungen. Im ersten Halbjahr starben mindestens 878 Arbeiter bei der Arbeit, darunter 66 Kinder. Die Durchsetzung des Arbeitsrechts war uneinheitlich.

Die vom US-Kongress vorgeschriebenen Länderberichte über Menschenrechtspraktiken beruhen auf diplomatischen Erkenntnissen, internationaler Beobachtung und Berichten von Nichtregierungsorganisationen. Sie erscheinen seit 1977 und dienen der Information der US-Außenpolitik sowie der Unterstützung von Rechenschaftsmechanismen.

 

US report says Turkey committed widespread human rights abuses in 2024

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