Der renommierte Historiker und Publizist Karl Schlögel ist am Sonntag zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandelsgeehrt worden. In einer zutiefst bewegenden Rede würdigte der 77-Jährige die Widerstandskraft und den Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer angesichts des russischen Angriffskrieges.
„Unter unseren Augen werden ukrainische Städte Tag für Tag, Nacht für Nacht bombardiert – und Europa scheint nicht in der Lage oder nicht willens, sie zu schützen“, sagte Schlögel sichtlich betroffen. Dennoch sprach er voller Bewunderung über die Entschlossenheit der Menschen in der Ukraine: „Sie sind Realisten, keine Träumer. Weil sie keine Opfer sein wollen, wehren sie sich. Sie kämpfen für ihre Kinder, ihre Familien, ihren Staat.“ Von der Ukraine zu lernen, so Schlögel, bedeute „furchtlos und standhaft zu sein – und vielleicht auch wieder siegen zu lernen.“ Das Publikum dankte ihm mit minutenlangen stehenden Ovationen.
Ein Leben zwischen Geschichte, Sprache und Verantwortung
Karl Schlögel, 1948 geboren, zählt zu den bedeutendsten deutschen Osteuropa-Experten seiner Generation. Er studierte Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1981. Anschließend arbeitete er als Übersetzer, Publizist und Autor – und machte sich durch Beiträge in großen deutschen Zeitungen als präziser Beobachter Osteuropas einen Namen. Bereits früh betonte er, dass Osteuropa ein integraler Bestandteil der europäischen Kultur sei.
1990 übernahm Schlögel den neu eingerichteten Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz, später lehrte er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Dort prägte er die Osteuropaforschung entscheidend – interdisziplinär, kulturhistorisch und immer mit dem Blick für die Wechselwirkungen zwischen Raum, Geschichte und Erinnerung.
„Ein Archäologe der Zeit“
In der Laudatio würdigte die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja den Preisträger als „Stimme der Standhaftigkeit“ in einer Zeit der Verunsicherung. Sie erinnerte an eine Szene kurz nach Beginn des Krieges, als sie Schlögel allein bei einer Solidaritätskundgebung in Berlin sah – in eine ukrainische Flagge gehüllt, still, aber tief bewegt. „Er ringt mit den Worten gegen die Fassungslosigkeit“, sagte Petrowskaja.
Auch Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, lobte Schlögel als „Pendler zwischen den Welten“ und „Archäologen der Zeit“, der die Schichten von Raum und Geschichte freilegt, um die Gegenwart besser zu verstehen. Frankfurt-Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) nannte die Freundschaft mit der Ukraine „einen Akt der Haltung“ – eine Haltung, die Schlögel in seinem gesamten Werk verkörpere: „Er antwortet auf die Frage, was wir tun können, mit einem einfachen Wort: Hinschauen.“
Mit seiner klaren Sprache, seinem moralischen Kompass und seinem unermüdlichen Einsatz für ein freies, vereintes Europa steht Karl Schlögel heute wie kaum ein anderer Intellektueller für das, was dieser Preis auszeichnet: Mut zur Wahrheit und Verantwortung vor der Geschichte.

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