Mehr als die Hälfte der jungen Menschen in der Türkei ist derzeit ohne Arbeit, wie eine neue Studie zeigt. Der Bericht offenbart eine weitverbreitete Hoffnungslosigkeit und Unzufriedenheit unter einer Generation, die unter Arbeitslosigkeit, Armut und den Folgen der anhaltenden Wirtschaftskrise leidet.
Der Bericht „NEET Youth in Turkey: Preliminary Findings“, der von der İstanbul Bilgi Universität veröffentlicht wurde, befragte 2.403 Haushalte in 29 Provinzen, um die Lebenssituation junger Menschen im Alter von 18 bis 29 Jahren zu untersuchen, die sich weder in Bildung, Beschäftigung noch Ausbildung (NEET) befinden. Laut Studie sind 46 Prozent der Befragten beschäftigt, während 54 Prozent keiner Arbeit nachgehen – eine Zahl, die auch Studierende einschließt.
Etwa ein Drittel der jungen Menschen, die nicht arbeiten, befindet sich weder im Bildungs- noch im Ausbildungssystem, womit die Türkei laut Bericht zu den Ländern mit der höchsten NEET-Quote innerhalb der OECD und Europas gehört.
Die Forscher:innen Prof. Emre Erdoğan, Prof. Pınar Uyan-Semerci und Assoc. Prof. Başak Ekim Akkan betonten, dass wirtschaftliche Not die materielle und psychische Widerstandskraft junger Menschen erheblich geschwächt habe.
Frauen besonders betroffen
Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen außerhalb des Arbeitsmarktes stehen, ist 2,5-mal höher als bei Männern. Rund ein Drittel der Frauen gab familiäre Verpflichtungen oder Pflegeaufgaben als Hauptgrund an, warum sie keiner Arbeit nachgehen.
Etwa ein Drittel der Befragten äußerte Zweifel am Nutzen von Bildung:
– 32 % gaben an, dass Bildung sie nicht auf das Leben vorbereite.
– 36 % sagten, dass sie ihnen keine guten Arbeitsmöglichkeiten eröffne.
Prekäre Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne
Unter den Beschäftigten verdienen 7 % 9.000 Lira (215 USD) oder weniger pro Monat, 30 % zwischen 18.000 und 27.000 Lira (430–645 USD) und 25 % zwischen 27.000 und 36.000 Lira (645–860 USD). Die Mehrheit arbeitet in niedrig qualifizierten, unsicheren Jobs, was laut Forscher:innen die Kluft zwischen quantitativem Beschäftigungswachstum und qualitativer Arbeit verdeutlicht.
Viele Befragte beschrieben, dass sie in einem Teufelskreis aus fehlender Berufserfahrung und Arbeitslosigkeit gefangen seien. Arbeitgeber verlangten zwei bis drei Jahre Berufserfahrung – ohne Anstellung sei dies jedoch unmöglich.
„Ich habe jahrelang gearbeitet, aber nie eine Versicherung bekommen“, sagte eine 33-jährige Frau aus Adana. „Sie wurden zwar bestraft, aber die Geldstrafe war zu gering, um etwas zu ändern.“
Pandemie, Inflation und Erdbeben verschärfen Krise
Krisen wie die Pandemie, die jüngsten Erdbeben und die anhaltende Inflation haben die Lage weiter verschlechtert. Viele junge Menschen verließen den Arbeitsmarkt oder brachen ihre Ausbildung ab. Fabrikarbeit wird als körperlich anstrengend und schlecht bezahlt, Dienstleistungsjobs als unsicher und ohne Aufstiegschancen beschrieben.
Familienunterstützung bleibt eine zentrale Stütze, führt aber zu Abhängigkeit.
„Nach einer Weile fiel es mir schwer, meinen Vater um Geld zu bitten – egal ob du 18 oder 25 bist“, sagte ein Teilnehmer.
Der Bericht stellt fest, dass finanzielle Belastungen und fehlende Selbstständigkeit die Lebenszufriedenheit verringern und Pessimismus verstärken.
Wunsch nach Auswanderung wächst
Etwa 67 % der Befragten möchten das Land verlassen, um bessere Arbeitsmöglichkeiten zu finden. 36 % gaben an, dass sie „keine Zukunft in der Türkei sehen“. Neun von zehn stimmten der Aussage zu, dass „manche Menschen mit weniger Aufwand ein besseres Leben führen“, was ein tiefes Gefühl sozialer Ungerechtigkeit widerspiegelt.
Empfehlungen und politische Lösungen
Der Bericht fordert Reformen, um Stipendien und Sozialhilfen auszubauen, bezahlbare Kinderbetreuung zur Förderung der Frauenbeschäftigung zu stärken, Arbeitsqualität zu verbessern und psychosoziale Unterstützungsangebote für junge Menschen zu schaffen.
Die Forscher:innen hielten im Juni in Çukurova und im Oktober online politische Workshops mit Vertreter:innen von Regierung, NGOs und Wissenschaft ab, um Lösungsansätze zu diskutieren.

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