Ebru Kaymak
Am vergangenen Mittwochabend kam es auf der Vahrenwalder Straße in Hannover zu einem bewaffneten Angriff, bei dem ein 27-jähriger Mann namens Serdar G. getötet wurde. Die Polizei nahm im Zusammenhang mit dem Vorfall einen 27-jährigen Verdächtigen aus Hamburg fest. Die Ermittlungen werden wegen des Verdachts auf Totschlag fortgeführt.
Laut Aussagen des Journalisten Cevheri Güven war das Opfer Serdar G. in einen Konflikt mit Personen verwickelt, die mit einer türkischstämmigen kriminellen Organisation namens „Daltonlar“ in Verbindung stehen. Ob und welcher Bande Serdar G. zugehört hat bleibt ungewiss aber auf Social Media teilte er Bilder mit „Kürt Mehmet“ (Mehmet Kaplan Kıran). Dieser weist jegliche Verantwortung von sich. Seiner Aussage nach versuche die Daltonlar-Gruppe lediglich, seinen Namen zu diskreditieren.
Dieser Vorfall zeigt, dass der Macht- und Einflusskampf zwischen türkischen Mafia-Gruppen inzwischen auch nach Deutschland übergeschwappt ist.
Diese in ganz Europa aktiven Banden konkurrieren insbesondere im Bereich Drogenhandel, Geldwäsche und Waffenhandel miteinander. Die Auseinandersetzungen entstehen meist aufgrund von Gebietskontrolle, Geldverteilung und dem Kampf um Ansehen.
Anstatt ihre Straftaten zu verbergen, ziehen es die Banden häufig vor, sie öffentlich bekannt zu machen oder als Machtdemonstration zu inszenieren. Dieses Verhalten soll sowohl Respekt und Angst im eigenen Umfeld erzeugen als auch Gegner einschüchtern. Da es in der Türkei kaum wirksame Strafverfolgung gegen diese Personen gibt, können viele leicht nach Europa fliehen oder durch Asylanträge längere Zeit in verschiedenen Ländern bleiben, wie wir bereits zuvor berichtet haben.
Dieser Vorfall ist nicht nur ein Hinweis auf die organisierte Kriminalität in Deutschland, sondern auch auf die Auswirkungen des Bündnisses zwischen Staat und Mafia in der Türkei, das sich mittlerweile bis nach Europa erstreckt. Laut dem Bericht von Hakkı Taş sind in den letzten Jahren in der Türkei die Grenzen zwischen Staat und Unterwelt zunehmend verschwommen. Während der AKP–MHP-Allianz wurden Mafia-Bosse wie Alaattin Çakıcı und Sedat Peker politisch geschützt und somit legitimiert. Dadurch wurde die Mafia zu einem Teil des Staates, und die Unterweltkriege in der Türkei haben sich nun auf die Straßen Europas ausgeweitet. (Mehr zur Analyse von Hakkı Taş finden Sie in unserem Artikel)
Es gibt in der Türkei aber auch in Deutschland viele Mafiabanden die sich als neue Generation von Mafiaorganisationen definieren. Diese Banden versuchen sich eigene Einflussgebiete zu schaffen und in der Türkei sowie in europäischen Ländern, Einnahmen zu erzielen. Die Einnahmen stammen von Schutzgelderpressungen, Anteile aus Glücksspielen und Wettaktivitäten sowie über die Verteilung von Waffen und Drogenerlösen – und aus diesem Grund geraten sie oft in Konflikte, erläutert Investigativ Journalist Cevheri Güven.
In klassischen Mafiastrukturen spielt die Blutsverwandtschaft eine zentrale Rolle. Das trifft aber bei den neuen Mafiaorganisationen nicht zu. Zu den Banden schließen sich Personen zusammen die sich über soziale Medien kennenlernen und einen Gruppenzusammenhalt bilden. In den unteren Rängen dieser Gruppen befinden sich überwiegend Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien. Für diese Jugendlichen ist das Gefängnis nicht besonders abschreckend. Wichtig ist für sie, dass sie und ihre Familien während der Haftzeit finanzielle Unterstützung erhalten. Die Banden kümmern sich um Anwaltskosten und helfen den Familien inhaftierter Mitglieder.
Das Hauptaugenmerk liegt immer auf dem Namen der Gruppe, nicht auf einzelnen Mitgliedern. Diese Gruppen verdanken sowohl ihre Gründung als auch ihren Fortbestand ihrer Sichtbarkeit in den sozialen Medien. Wenn sie dort in Vergessenheit geraten, verlieren sie schnell ihre Popularität unter Jugendlichen. Indem sie ihre Konflikte öffentlich machen, erzeugen sie das Bild, mächtiger als ihre Rivalen zu sein, und gewinnen so neue Anhänger.
Die Entwicklungen zeigen, dass sich organisierte Kriminalität im digitalen Zeitalter nicht nur geografisch, sondern auch gesellschaftlich neu formiert – jenseits traditioneller Strukturen, dafür mit globaler Reichweite und gefährlicher Attraktivität für junge Menschen.

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