Die Türkei hat den Zugang zu einem X-Konto blockiert, das zur Bewerbung der Präsidentschaftskampagne von Ekrem İmamoğlu, dem inhaftierten Bürgermeister von İstanbul und Präsidentschaftskandidaten der oppositionellen CHP, eingerichtet wurde. Als Begründung wurden „nationale Sicherheit“ und der Schutz der „öffentlichen Ordnung“ angegeben.
Die Entscheidung betrifft das Konto Cumhurbaşkanlığı Aday Ofisi (Präsidentschaftskandidatenbüro), das İmamoğlu über seine Anwält*innen nutzte, nachdem sein persönlicher X-Account Anfang des Jahres in der Türkei eingeschränkt worden war.
İmamoğlus Hauptkonto mit 9,7 Millionen Followern wurde am 8. Mai auf Grundlage eines Gerichtsbeschlusses gesperrt. Eine seiner Botschaften aus dem Gefängnis wurde als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft.
Der Bürgermeister von İstanbul – weithin als stärkster politischer Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gesehen – wurde im März festgenommen. Kurz darauf gewann er eine parteiinterne Vorwahl mit 15 Millionen Stimmen und wurde offiziell zum CHP-Präsidentschaftskandidaten erklärt. Er sitzt derzeit wegen Korruptionsvorwürfen in der berüchtigten Marmara-Gefängnisanlage in Silivri – Anschuldigungen, die weithin als politisch motiviert gelten.
Die jüngste Sperrung wurde erstmals von EngelliWeb, einer Organisation zur Überwachung digitaler Zensur, gemeldet. Demnach wurde die Anordnung den Internetanbietern offiziell übermittelt und mit nationaler Sicherheit sowie öffentlicher Ordnung begründet.
Nach seiner Festnahme richtete die CHP ein Präsidentschaftskandidatenbüro für İmamoğlu ein, dessen erste Niederlassung im Juli in Ankara eröffnet wurde.
Die Blockade des Wahlkampfkontos folgt kurz nach einer fast 4.000 Seiten umfassenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die İmamoğlu vorwirft, innerhalb der Stadtverwaltung eine „kriminelle Organisation“ geführt und 142 Straftaten, darunter Bestechung, Betrug, Manipulation von Ausschreibungen und Geldwäsche, begangen zu haben. Zudem soll er illegale Gelder genutzt haben, um politischen Einfluss innerhalb der CHP zu gewinnen und sich auf eine Wahl gegen Erdoğan vorzubereiten.
Die Anklage sieht eine Gesamthaftstrafe von 828 bis 2.430 Jahren vor.
Bis Donnerstag hatte X die Sichtbarkeitssperre in der Türkei noch nicht umgesetzt.
İmamoğlu (54) wurde nach seinem Sieg gegen Erdoğans Partei bei den Kommunalwahlen 2019 – der das 25-jährige Machtmonopol der Regierungspartei in İstanbul beendete – landesweit bekannt. Trotz zunehmenden rechtlichen Drucks gewann er 2024 erneut die Bürgermeisterwahl.
Die Maßnahmen gegen İmamoğlus Accounts erfolgen inmitten einer Welle digitaler Zensur seit seiner Festnahme, die die größten Proteste in der Türkei seit den Gezi-Park-Demonstrationen 2013 ausgelöst hat.
In den vergangenen Monaten wurden Dutzende X-Accounts von kritischen Journalistinnen, Aktivistinnen im In- und Ausland sowie Menschen, die über die Proteste berichteten, gesperrt.
X erklärte, dass das Unternehmen der staatlichen Anordnung nachgekommen sei, um strengere Sanktionen wie eine mögliche Drosselung der Plattform zu vermeiden, zugleich aber Einspruch gegen den Beschluss einlege.
Kritiker werfen dem Unternehmen vor, durch das Befolgen türkischer Behördenanordnungen die Regierung bei der Unterdrückung oppositioneller Stimmen zu unterstützen.
Obwohl die Gerichtsbeschlüsse offiziell nur in der Türkei gelten, warnen Menschenrechtsgruppen, dass die algorithmische Funktionsweise von X die globale Sichtbarkeit blockierter Accounts auch außerhalb des Landes verringert.
Die İfade Özgürlüğü Derneği (İFÖD) und EngelliWeb verzeichnen seit Anfang 2025 einen deutlichen Anstieg staatlicher Löschanordnungen – viele davon richten sich gegen Journalistinnen, Aktivistinnen und oppositionelle Personen im Exil.

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