Die türkischen Behörden haben 286 Personen festgenommen und 154 von ihnen in Untersuchungshaft genommen, wie Innenminister Ali Yerlikaya am Dienstag mitteilte, berichtet das Stockholm Center for Freedom. Die Maßnahmen stehen im Zusammenhang mit einer anhaltenden landesweiten Verfolgung der glaubensbasierten Gülen-Bewegung.
Yerlikaya erklärte auf der Plattform X, die Verdächtigen seien in den vergangenen vier Wochen bei Polizeieinsätzen in 50 Provinzen, darunter Istanbul, Izmir, Trabzon und Bursa, festgenommen worden.
Den Festgenommenen wird vorgeworfen, Aktivitäten im Zusammenhang mit der Gülen-Bewegung entfaltet zu haben, über öffentliche Fernsprecher mit Mitgliedern der Bewegung in Kontakt gestanden, deren Aktivitäten finanziell unterstützt und Propaganda in den sozialen Medien verbreitet zu haben. Yerlikaya behauptete zudem, einige der Festgenommenen hätten die verschlüsselte Messaging-App ByLock verwendet, die über Apples App Store und Google Play allgemein zugänglich war.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan richtet sich seit Jahren gegen Anhänger der von dem im US-Exil lebenden muslimischen Geistlichen Fethullah Gülen inspirierten Bewegung. Nachdem Korruptionsermittlungen im Dezember 2013 sowohl ihn selbst als auch Mitglieder seiner Familie und seines engsten Umfelds belastet hatten, wies Erdoğan die Vorwürfe als einen „Gülenistischen Putschversuch“ und eine Verschwörung gegen seine Regierung zurück und begann, die Bewegung systematisch zu verfolgen.
Im Mai 2016 stufte Erdoğan die Bewegung offiziell als terroristische Organisation ein. Nach dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016, für den er Gülen verantwortlich machte, verschärfte die Regierung ihr Vorgehen erheblich.
Die sogenannten „Münztelefon-Ermittlungen“ basieren auf Verbindungsdaten öffentlicher Fernsprecher. Staatsanwälte gehen davon aus, dass ein mutmaßliches Mitglied der Gülen-Bewegung über ein Münztelefon nacheinander verschiedene Kontakte angerufen habe. Aus dieser Annahme heraus gilt jeder, dessen Nummer in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu einem solchen Anruf auftaucht, ebenfalls als verdächtig. Die Ermittlungsbehörden verfügen jedoch nicht über Inhalte der Gespräche; die Schuldvermutung stützt sich allein auf die Reihenfolge der Anrufe.
Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 betrachten die türkischen Behörden die App ByLock als geheimes Kommunikationsmittel von Unterstützern der Gülen-Bewegung – obwohl Beweise fehlen, dass Nachrichten über ByLock mit dem Umsturzversuch in Verbindung standen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in zahlreichen Urteilen klargestellt, dass die Nutzung der ByLock-App keine strafbare Handlung darstellt. Dennoch dauern in der Türkei Festnahmen und Inhaftierungen wegen der angeblichen Nutzung der Anwendung an.
Nach den jüngsten Angaben des türkischen Justizministeriums wurden seit 2016 mehr als 126.000 Personen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung verurteilt, 11.085 befinden sich weiterhin in Haft. Gegen über 24.000 Personen laufen noch Gerichtsverfahren, weitere 58.000 stehen fast ein Jahrzehnt nach Beginn der Verfolgungswelle noch unter aktiver Untersuchung.
Neben den Tausenden, die inhaftiert wurden, sahen sich zahlreiche Anhänger der Gülen-Bewegung gezwungen, aus der Türkei zu fliehen, um der staatlichen Repression zu entgehen.

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