Im türkischen Generalkonsulat in Essen wurde der türkische Lehrer Yavuz Koca von Polizisten körperlich misshandelt und mit der Bedrohung, ihm die Kehle zu durchschneiden, eingeschüchtert. Dieser Vorfall erinnert auf erschreckende Weise an eine mögliche Vorstufe des Mordes an Cemal Kaşıkçı.
Yavuz Koca begab sich gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern in das türkische Generalkonsulat in Essen, um den Reisepass seiner neunjährigen Tochter erneuern zu lassen.
Koca, der in seiner Funktion als Generaldirektor der Internationalen Türkischen Schulen in Bangladesch tätig ist, hatte sich für diesen behördlichen Vorgang Deutschland ausgesucht. Der Hintergrund: Die türkische Botschaft in Bangladesch hatte im Vorfeld bekannt gegeben, keine Anträge von Personen zu bearbeiten, die an der Schule beschäftigt sind.
Am 22. Mai 2017 erschien Koca nach einem zuvor vereinbarten Termin am Nachmittag am Eingang des Konsulats in Essen. Doch, wie er später berichtete, konnte er das Konsulatsgebäude „nur mit knapper Not und unter Lebensgefahr“ wieder verlassen. Vor den Augen seiner Familie wurde er geschlagen, zu Boden gestoßen, seine Kleidung zerrissen und mit der Drohung konfrontiert, ihm die Kehle durchzuschneiden.
Was später im Fall von Cemal Kaşıkçı in der saudischen Botschaft geschah, hatte sich bereits Monate zuvor in ähnlicher Weise im türkischen Generalkonsulat in Essen abgespielt – nahezu wie eine Vorstufe der grausamen Ereignisse.
ALLES WAR VORBEREITET
Auch Yavuz Kocas Ehefrau ist Lehrerin. Die Familie Koca, die mit ihren beiden Kindern im Alter von 3 und 9 Jahren das Gelände des Generalkonsulats betrat, bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Als sie die Klingel betätigten, wurde die Tür ohne Zögern geöffnet. Ihre Mobiltelefone wurden nicht kontrolliert, und sie erhielten ungewöhnlich rasch Zutritt zum Gebäude.
Yavuz Koca berichtet: „Nachdem wir das Gebäude betreten hatten, begaben wir uns zunächst in das obere Stockwerk, um die erforderlichen Formalitäten zu erledigen. Anschließend wurde ich in ein separates Zimmer im unteren Stockwerk geführt. Dort fiel mir sofort auf, dass ich anders behandelt wurde als die anderen. Ich begann zu begreifen, dass etwas nicht stimmte. Ein erster Sekretär trat ein und begann sofort, in einem scharfen Tonfall mit mir zu sprechen. Er bezeichnete uns als Terroristen, während drei Polizisten gemeinsam mit ihm agierten.“
„Sie sagten, dass sie unsere Pässe einziehen würden. Natürlich hatten wir unsere eigenen Pässe nicht dabei, nur der Reisepass meiner Tochter war bei uns. Als die Spannung eskalierte, begannen die Kinder zu weinen. Ich bat darum, dass meine Frau und die Kinder das Gebäude verlassen dürften, und versicherte, dass ich bereit wäre, alles zu tun, was sie von mir verlangten, sobald sie gegangen wären.“
„Wir begaben uns gemeinsam in Richtung Ausgang. Nachdem ich gesehen hatte, dass meine Frau und die Kinder durch das Gartentor hinausgegangen waren, warf ich den Reisepass meiner Tochter über die Gitterstäbe.“
„ZWEI POLIZISTEN BEGANNEN, AUF BEFEHL ZU SCHLAGEN“
Nachdem Yavuz Kocas Frau den Reisepass, den er geworfen hatte, vom Boden draußen aufgehoben hatte, trat einer der Polizisten aus dem Bereich des Generalkonsulats und versuchte gewaltsam, den Pass an sich zu nehmen. Als Kocas Frau rief: „Das ist deutsches Bodenrecht!“, zog er sich zurück.
Koca berichtet, dass die Polizisten auf Anweisung des ersten Sekretärs begannen, ihn anzugreifen: „Einer der jungen Polizisten und ein älterer Mann aus den drei Polizisten im Garten griffen mich an. Mein Rücken prallte gegen die Eisenstäbe, und einer der Polizisten schnürte mir die Kehle zu. Sie versuchten, mich zu Boden zu werfen, doch ich wehrte mich. Durch die Gewalt des Angriffs riss mein T-Shirt, und das Knie meiner Hose wurde aufgerissen. Ich wurde an den Rippen getroffen. Ich berührte die Polizisten nie, ich versuchte lediglich, mich zu verteidigen, mich aus ihren Griffen zu befreien und wieder aufzustehen.“
„Dann begann ich zu schreien. Ich rief meinem Freund draußen zu: ‚Ruf die Medien, sie werden mich hier umbringen!‘
Natürlich sahen meine Frau und meine Kinder, was hinter den Gitterstäben geschah. Sie begannen, um Hilfe zu rufen. Die deutschen Polizisten, die draußen am Tor standen, beobachteten das Geschehen, konnten jedoch nicht eingreifen.“
KONSULATSPOLIZIST: „WIR SCHNEIDEN DEN VERRÄTERN DIE KEHLE DURCH“
Der Vorfall im Konsulatgarten erregte auch die Aufmerksamkeit der draußen wartenden Deutschen, und als die Situation eskalierte, berichtete Koca, dass die Polizisten die Attacke schließlich stoppten. Doch die anschließende Drohung erschütterte ihn: „Die Polizisten begannen, mir vorzuwerfen: ‚Am 15. Juli habt ihr den Putsch gemacht.‘ Ich entgegnete, dass ich seit zwei Jahren in Bangladesch sei und zu jener Zeit nicht einmal in der Türkei war, und sagte: ‚Wer auch immer den Putsch gemacht hat, geht und fordert von denen Rechenschaft ein.‘ In diesem Moment sagte mir ein junger Polizist: ‚Du weißt, was wir den Verrätern antun, oder? Wir schneiden den Verrätern die Kehle durch.‘ Ich nehme an, er spielte auf die Soldaten an, deren Köpfe auf der Bosporusbrücke abgeschnitten wurden. Diese Worte hörte auch meine Frau.“
„Durch die Gitterstäbe konnten meine Frau und meine Kinder alles sehen. Sie weinten. Besonders meine ältere Tochter war sehr betroffen. Der gesamte Angriff fand im Garten statt. Diese Ereignisse ereigneten sich kurz vor der Schließzeit der Botschaft. Auch türkische Angestellte gingen ein und aus, doch sie konnten sich nicht äußern.“
„DEUTSCHE POLIZISTEN WOLLTEN EINEN AMBULANZ RUFEN“
Nachdem die Schreie bis auf die Straße drangen, berichtete Yavuz Koca, dass der erste Sekretär schnell ins Gebäude eilte. Eine Zeit lang wurde er im Garten von der Polizei eingekesselt und gezwungen, zu warten.
„Der erste Sekretär hatte drinnen mit dem stellvertretenden Konsul gesprochen. Der Konsul war nicht im Gebäude. Als der Vorfall eskalierte, änderten sie plötzlich ihren Ton. Sie erklärten, dass sie meinen Antrag annehmen könnten, wenn ich wollte, oder dass ich auch gehen könnte. Ich verließ schnell das Gebäude. Draußen standen die deutschen Polizisten.“
„Ich sagte: ‚Habt ihr das nicht gesehen? Sie wollten mich umbringen, sie haben mich angegriffen.‘ Doch die deutschen Polizisten erklärten, dass der Garten türkisches Hoheitsgebiet sei und sie nichts unternehmen könnten. Als sie jedoch meinen Zustand sahen, boten sie an, einen Krankenwagen zu rufen. Die Kinder hatten große Angst und weinten. Zunächst brachte ich die Kinder zu meinem Freund nach Hause. Danach ging ich ins Krankenhaus, um einen Arztbericht erstellen zu lassen. Anschließend erstattete ich Anzeige bei der Polizei.“
„SIE HATTEN ALLES VORHER VORBEREITET“
Laut Yavuz Koca war alles genauso geplant wie der Vorfall mit Cemal Kaşıkçı, als dieser die saudische Botschaft betrat: „Später habe ich natürlich verstanden, dass sie sich auf unsere Ankunft vorbereitet hatten. Denn als wir unten klingelten, wurde die Tür ohne Verzögerung geöffnet, und als wir eintraten, fand keinerlei Sicherheitskontrolle statt. Wir wurden schnell hineingelassen. Sogar mit meinem Handy konnte ich problemlos passieren, ohne dass jemand nachschaute oder kontrollierte. Drinnen erklärten die Sicherheitskräfte und Polizisten unisono: ‚Ihr seid Terroristen‘. Sie wussten, dass ich zur Gülen-Bewegung gehöre, und beschimpften uns mit solchen Anschuldigungen. Das zeigt, dass sie sich vorher untereinander abgesprochen und das Personal über uns informiert hatten, um sich entsprechend vorzubereiten.“
„40 Pässe Wurden Beschlagnahmt“
„Während der Auseinandersetzung sagte ich, dass sie unsere Pässe nicht konfiszieren könnten. Darauf antwortete der erste Sekretär, dass sie dies durchaus tun könnten und sogar die Pässe von 40 Personen beschlagnahmt hätten.“
„Strafanzeige Stieß Auf Hindernisse Durch Die Wiener Konvention“
Die Beschwerde von Yavuz Koca über die erlittene körperliche Gewalt und die Morddrohung wurde aufgrund der Bestimmungen der Wiener Konvention, die die Regeln für diplomatische Missionen regelt, eingestellt.
Koca erklärt, dass nach seiner Beschwerde ein öffentliches Verfahren eingeleitet wurde, wobei die Verantwortlichen des türkischen Konsulats bestritten, dass ein solcher Vorfall stattgefunden habe, während die deutschen Polizisten, die draußen standen, bestätigten, das Geschehen beobachtet zu haben: „Die deutschen Behörden haben den Fall geprüft und mir anschließend das Ergebnis mitgeteilt. In der Entscheidung wurde festgestellt, dass sie aufgrund der Wiener Konvention keine Maßnahmen gegen den Vorfall im Konsulatsgebäude ergreifen können. Das bedeutet, sie haben den Fall abgeschlossen.“
„Wir Mussten Meine Tochter Zu Einem Psychologen Bringen“
Laut dem von Yavuz Koca erhaltenen Attest für die erlittenen Verletzungen weist sein Körper Prellungen und Schnitte am Rücken, an den Rippen, den Armen, dem Hals und den Beinen auf. Doch für ihn und seine Familie geht der Vorfall über die körperlichen Verletzungen hinaus und umfasst auch eine psychologische Dimension.
Nach dem Angriff, der vor den Augen seiner Kinder stattfand, berichtet Yavuz Koca, dass insbesondere seine neunjährige Tochter stark betroffen war und sie gezwungen waren, die ältere Tochter zu einem Psychologen zu bringen. Diese Berichte liegen ebenfalls vor.
Koca erklärt, dass seine Tochter nach wie vor unter dem Eindruck des Vorfalls steht und fügt hinzu: „Meine Tochter möchte hart arbeiten, um eines Tages Ministerpräsidentin zu werden und diese Polizisten zur Verantwortung zu ziehen.“
Koca und seine Familie leben mittlerweile als politische Flüchtlinge. Die zuständigen Behörden, die die Abschlüsse von Koca und seiner Frau anerkannten, informierten sie darüber, dass Koca als Lehrer arbeiten könne, sobald ihre Sprachkenntnisse überprüft wurden.
Koca erklärt, dass er und seine Frau auf den Tag warten, an dem sie erneut unterrichten können.
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