Kavalas Ehefrau kritisiert Untätigkeit des Europarats im Fall Kavala und warnt vor Glaubwürdigkeitsverlust des EGMR

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Professorin Ayşe Buğra, die Ehefrau des inhaftierten Geschäftsmanns und Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala, hat den Europarat (CoE) für seine Untätigkeit in Bezug auf den Fall ihres Mannes scharf kritisiert. Angesichts der anhaltenden Weigerung der Türkei, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zugunsten Kavalas umzusetzen, betonte sie, dass diese Passivität nicht nur die Glaubwürdigkeit des Gerichts, sondern auch die fundamentalen Prinzipien des Europarats untergrabe.

In einem Interview mit der Journalistin Cansu Çamlıbel für die Nachrichtenplattform T24 sprach Buğra über den Fall von Kavala, der seit November 2017 aufgrund von Anklagen im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Park-Protesten 2013 inhaftiert ist.

Osman Kavala wurde 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt, da ihm vorgeworfen wurde, versucht zu haben, die Regierung des damaligen Premierministers und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen. Seine Verurteilung, die von zahlreichen internationalen Beobachtern und Menschenrechtsorganisationen als politisch motiviert kritisiert wird, wurde im September 2023 vom Obersten Berufungsgericht bestätigt.

Die Türkei hat sich trotz eines Urteils des Europäisches Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2019 geweigert, Osman Kavala freizulassen. Der EGMR hatte damals festgestellt, dass seine Inhaftierung einem „versteckten Motiv“ diente-nämlich ihn als Menschenrechtsverteidiger zum Schweigen zu bringen- und seine sofortige Freilassung gefordert.

Die Nichtumsetzung des Urteils veranlasste das Ministerkomitee des Europarats im Februar 2022, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei einzuleiten, das noch andauert.

Buğra erklärte im Interview mit  T24, dass das Bestreben, mögliche Sanktionen gegen die Türkei zu vermeiden – Sanktionen, die eigentlich bei der Nichtumsetzung von EGMR-Urteilen gegen ein Mitglied des Europarats verhängt würden – die Glaubwürdigkeit des Gerichts untergrabe. „Es untergräbt die Glaubwürdigkeit der Institution und das Vertrauen in die Prinzipien, auf denen sie aufgebaut ist Ich glaube, diese Prozesse sind nicht frei von politischen Interessen“, fügte Buğra hinzu. 

Auf die Frage, ob sie glaube, dass der EGMR und der Europarat die Verhängung von Sanktionen aus politischen Gründen verzögern, erklärte Buğra, sie wollten, dass die internationalen Beziehungen „reibungslos und positiv“ fortgesetzt werden. Buğra betonte, dass niemand, einschließlich ihrer selbst, wünsche, dass die Türkei aus dem Europarat ausgeschlossen werde. Sie wies jedoch darauf hin, dass es andere Maßnahmen und Sanktionen gebe, die ergriffen werden könnten, bevor es zu einem solchen Schritt komme, und äußerte ihre Enttäuschung darüber, dass diese nicht in Betracht gezogen worden seien.

Bezüglich der Frage ob der Fall Kavala eine persönliche Angelegenheit für Erdoğan sei, antwortete sie: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Alles ist möglich. Vielleicht hat man gedacht, dass es notwendig sei, die Gezi-Proteste zu kriminalisieren, und dass man eine gute Strategie dafür gefunden habe.“

Sie deutete auch an, dass ein weiterer möglicher Grund für die gezielte Verfolgung von Kavala darin bestehen könnte, dass es innerhalb der Regierung eine Fraktion gab, die die Beziehungen zur Europäischen Union abbrechen und die Türkei von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wegführen wollte. Diese Fraktion könnte eine solche Verhaftung als Mittel gesehen haben, um dieses Ziel voranzutreiben.

Auf die Frage nach Ayşe Barım, der bekannten Promi-Managerin, die kürzlich wegen des Vorwurfs, „den Versuch unternommen zu haben, die Türkische Republik zu stürzen oder sie an der Erfüllung ihrer Aufgaben zu hindern“, als eine der angeblichen „Organisatoren“ der Gezi-Park-Proteste festgenommen wurde, sagte Buğra, sie kenne sie nicht und habe ihren Namen nie von ihrem Ehemann gehört.

Weitverbreitetes Schweigen

Die Professorin beklagte ein weitverbreitetes Schweigen in der Gesellschaft in Bezug auf die Situation ihres Mannes, welches sie auf ein Klima der Angst zurückführte. Sie nannte den Verband der Türkischen Industriellen und Geschäftsleute (TÜSİAD) als eine der Gruppen, die sich nicht äußerten. Buğra erklärte, die Mitglieder des Verbands seien „zu ängstlich“, um sich zu Wort zu melden.

„Vor allem angesichts der aktuellen Lage denke ich nicht, dass heute jemand in einer solchen Umgebung besonders mutig handeln kann. Gelegentlich sagen sie ein paar Dinge, aber im Allgemeinen schweigen alle. Es betrifft nicht nur TÜSİAD, sondern auch Kultur- und Kunst-Einrichtungen“, fügte sie hinzu.

Buğra sprach auch über das Buch „Bir Dava Hikayesi: Osman Kavala’nın Yedi Yılı“ (Eine Prozessgeschichte: Sieben Jahre von Osman Kavala), das sie gemeinsam mit Asena Günal, der Koordinatorin der Anadolu-Kultur-Stiftung, einer von Kavala mit begründeten und geleiteten Organisation, verfasst hat.

Sie sagte, das Buch, das die Geschichte der juristischen Verfahren gegen Osman Kavala erzählt, sei ein Versuch gewesen, die Wahrheit über Kavala darzustellen, der auch medial sehr stark angegriffen wurde, um seinen Charakter diffamierten und ihn als „den dunkelsten Mann der Türkei“ dar zu stellen.

Auf die Frage, ob Kavala besorgt darüber sei, von einem Teil der Gesellschaft als „dunkle Gestalt“ wahrgenommen zu werden, erinnerte seine Frau an eine im Buch enthaltene Aussage von Kavala: „Meine Wirklichkeit wurde verzerrt.“

„Es ist unmöglich, dass er das nicht spürt. Und das ist eine schwere Last. … Menschen, die das Buch lesen, werden wahrscheinlich die Wahrheit herausfinden.  Aber dennoch fand ich diese Aussage sehr bedeutsam“, sagte sie.

Osman Kavala, eine führende Persönlichkeit der türkischen Zivilgesellschaft, wurde 1957 in Paris geboren, studierte in Großbritannien und leitete ein Kulturzentrum, bevor er ins Rampenlicht geriet. Ihm wurde vorgeworfen, die Gezi-Park-Proteste gegen die Regierung Erdoğan im Jahr 2013 finanziert zu haben.

Die Gezi-Park-Proteste begannen im Sommer 2013 als Reaktion auf Regierungspläne, einen Park im Zentrum Istanbuls abzureißen, eskalierten jedoch schnell zu landesweiten Anti-Regierungs-Demonstrationen. Die Proteste wurden mit gewaltsamer Unterdrückung beantwortet, bei der 11 Demonstranten durch exzessive Polizeigewalt ums Leben kamen.

Die Verurteilung Kavalas sowie die anderer Angeklagter wurde weithin als politisch motiviert kritisiert und hat sowohl international als auch innerhalb der Türkei erhebliche Proteste und Verurteilungen hervorgerufen.







 

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