Die Istanbuler Staatsanwaltschaft hat am Dienstag ein Ermittlungsverfahren gegen Cemal Enginyurt eingeleitet, einen Abgeordneten, der kürzlich der größten Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei) beigetreten ist. Wie Turkish Minute berichtet, wird Enginyurt vorgeworfen, in einer Rede im Parlament Präsident Recep Tayyip Erdoğan beleidigt und bedroht zu haben.
Die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, dass das Verfahren wegen „Beleidigung und Bedrohung des Präsidenten“ von Amts wegen eingeleitet wurde – also ohne eine offizielle Anzeige.
Hintergrund der Ermittlungen ist eine Rede, die Enginyurt am Dienstag während einer Fraktionssitzung der CHP hielt. Darin wandte er sich direkt an Erdoğan mit den Worten: „Anstatt als ein in Palästen lebender Yazid aufzutreten, werden wir wie der Märtyrer Hussein in den Wüsten von Kerbela sein. Deshalb richte ich mich an den Schöpfer dieses Angstimperiums, den Architekten dieser Ein-Mann-Herrschaft, den Vollstrecker von Unterdrückung und Tyrannei: Kein Schiff kann auf einem Meer der Unterdrückung segeln. Schande über uns, wenn wir es nicht versenken. Schande über uns, wenn wir dich nicht dasselbe Schicksal in den Gefängnissen teilen lassen, in denen wir zu Unrecht inhaftiert wurden.“
Die Anspielung auf Yazid und Hussein ist historisch und religiös hoch aufgeladen. Yazid I., ein Kalif der Umayyaden, ist unter Muslimen weithin verhasst, weil er im Jahr 680 n. Chr. die Tötung von Hussein ibn Ali, dem Enkel des Propheten Mohammed, in der Schlacht von Kerbela anordnete. Husseins Martyrium wird insbesondere in der schiitischen Tradition als Symbol des Widerstands gegen Tyrannei geehrt.
Enginyurt, der früher Mitglied der rechtsextremen MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) und später der zentristischen Demokratischen Partei war, trat am Dienstag feierlich der CHP bei, begleitet von Parteichef Özgür Özel. Seit seinem Bruch mit der MHP hat sich Enginyurt zu einem scharfen Kritiker Erdoğans entwickelt und attackiert die Regierung regelmäßig wegen mangelnder richterlicher Unabhängigkeit und politischer Repression.
Das Verfahren gegen Enginyurt reiht sich in eine umfassendere staatliche Kampagne gegen Kritiker ein. In der Türkei werden Gesetze gegen die Beleidigung des Präsidenten zunehmend genutzt, um Tausende von Menschen strafrechtlich zu verfolgen – darunter Politiker, Journalisten und gewöhnliche Bürger.
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