Das türkische Justizministerium plant eine Gesetzesänderung, die es jeder geschäftsfähigen Person ermöglicht, in der Türkei persönlich oder über einen Anwalt Klage einzureichen. Ziel ist es, regierungskritische Exilanten daran zu hindern, dieses Recht auszuüben, da dies möglicherweise zu für sie günstigen Urteilen führen könnte, berichtet Fatma Zibak auf der Nachrichtenplattform Turkish Minute.
Das Ministerium plant eine Änderung der türkischen Zivilprozessordnung, die es derzeit sowohl im Ausland lebenden türkischen Staatsbürgern als auch in der Türkei ansässigen Personen ermöglicht, Klagen über ihre Rechtsvertreter einzureichen. Die geplante Neuregelung sieht vor, dass Personen mit einem Haftbefehl in der Türkei ihre Klagen persönlich einreichen und ihre Verfahren selbst verfolgen müssen. Damit würde es regierungskritischen Exilanten faktisch unmöglich gemacht, vor türkischen Gerichten rechtliche Schritte einzuleiten.
Der Cumhuriyet-Journalist Barış Terkoğlu berichtete am Donnerstag in seiner Kolumne über die geplante Gesetzesänderung und erklärte, dass die Schadensersatzklagen des ehemaligen Fußball-Nationalspielers Hakan Şükür, der im US-Exil lebt und in der Türkei per Haftbefehl gesucht wird, das Justizministerium zu dieser Initiative veranlasst hätten.
Laut Terkoğlu gewann Şükür mehrfach Schadensersatzklagen vor türkischen Gerichten, nachdem er über seinen Anwalt gegen Personen geklagt hatte, die ihn in sozialen Medien als „Terroristen“ oder „FETÖ-Mitglied“ beleidigt hatten und damit seine Persönlichkeitsrechte verletzten.
Şükür wurde in der Türkei massiven rechtlichen und sozialen Repressionen ausgesetzt, weil er der Gülen-nahen Bewegung angehörte. Er floh 2015 aus der Türkei, um einer Verfolgung zu entgehen, die sich nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 noch verschärfte.
Die Gülen-Bewegung, die sich auf die Lehren des islamischen Gelehrten und Denkers Fethullah Gülen stützt, und sich selbst als Hizmet-Bewegung (türkisch: Dienst) bezeichnet, wird von der türkischen Erdoğan-Regierung beschuldigt, den gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 angeführt zu haben und ist einer massiven Hexenjagd ausgesetzt. Während Ankara die Bewegung als „terroristische Organisation“ einstuft, weist diese jede Beteiligung am Putsch entschieden zurück und wird von keinem westlichen Land als terroristisch eingestuft.
Die durch Şükür gewonnenen Schadensersatzklagen wurden von dem regierungsnahen Anwalt Burak Bekiroğlu öffentlich gemacht. Er reichte eine Petition beim türkischen Richter- und Staatsanwälterat (HSK) ein, um Sanktionen gegen die Richter zu fordern, die zugunsten Şükürs entschieden hatten. Er beschuldigte sie der „Finanzierung des Terrorismus“ und forderte Ermittlungen, ihre Suspendierung und letztlich ihre Entlassung.
Im Zuge des umfassenden Vorgehens gegen Mitglieder der Bewegung wurde ein Haftbefehl gegen Şükür ausgestellt, und die Regierung konfiszierte seine Immobilien, Unternehmen und Bankkonten in der Türkei. Sein Vater wurde nach dem Putschversuch verhaftet und mehrere Monate lang inhaftiert. Laut seinen Anwälten erlitt Sermet Şükür während seiner Haft Misshandlungen und verlor 40 Kilogramm.
Empörung unter Juristen
Die Pläne des Justizministeriums, Exil-Oppositionellen den Rechtsweg in der Türkei zu versperren, sorgen in juristischen Kreisen für Empörung. Kritiker sehen darin einen weiteren Angriff auf den Rechtsstaat.
Ali Yıldız, Gründer der Arrested Lawyers Initiative, nennt den Vorschlag „skandalös“ und spricht von einem „zweigeteilten Rechtssystem“: eines für Regimetreue, eines für Gegner. Das Vorhaben verstoße gegen Verfassung, Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR).
Auch der Anwalt Nurullah Albayrak warnt vor einem Missbrauch der Justiz: Selbst Richter, die unparteiisch urteilen, müssten nun Sanktionen fürchten. Die türkische Justiz steht seit Jahren wegen mangelnder Unabhängigkeit in der Kritik – 2024 belegte sie Platz 117 von 142 im Rule of Law Index.
Seit dem Putschversuch 2016 verfolgt die Regierung mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung rigoros: Mehr als 700.000 Menschen wurden wegen Terrorvorwürfen untersucht, Zehntausende inhaftiert. Viele flohen ins Ausland und erhielten Asyl in westlichen Staaten, die die Bewegung nicht als terroristisch einstufen.
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