Türkei steuert mit voller Geschwindigkeit in den Autoritarismus – Festnahme von İmamoğlu sorgt für internationale Empörung

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Die Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, dem Bürgermeister von Istanbul und einem der führenden Oppositionspolitiker der Türkei, hat weltweit scharfe Kritik ausgelöst. Analysten und Beobachter warnen, dass die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit voller Geschwindigkeit in Richtung eines autoritären Staates steuert.

İmamoğlu wurde am Mittwoch gemeinsam mit über 100 weiteren Personen unter dem Vorwurf von Korruption und Unterstützung terroristischer Organisationen festgenommen. Die Verhaftungen wurden von Regierungen, Politikern und Menschenrechtsorganisationen umgehend als politisch motiviert verurteilt.

Internationale Kritik an Erdoğan wächst

Nacho Sánchez Amor, der Türkei-Berichterstatter des Europäischen Parlaments, äußerte auf Social Media seine tiefe Besorgnis und sprach von einem “vollen Tempo in den Autoritarismus”. Sein Vorgänger Kati Piri ging noch weiter und bezeichnete die Festnahme als einen “entscheidenden Schritt in die vollständige Autokratie” durch Erdoğans Regierung. Sie forderte ernsthafte Konsequenzen von der Europäischen Union.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich alarmiert: “Die Türkei muss demokratische Werte aufrechterhalten, insbesondere die Rechte gewählter Amtsträger”, sagte sie am Mittwoch vor Journalisten. “Wir wollen die Türkei weiterhin in Europa verankert sehen, aber das erfordert eine klare Verpflichtung zu demokratischen Normen.”

Malik Azmani, niederländisches Mitglied des Europäischen Parlaments, bezeichnete İmamoğlus Festnahme als einen klaren Versuch, einen führenden Oppositionspolitiker auszuschalten. Auch die sozialdemokratische Partei Europas (PES) verurteilte die Verhaftungen scharf und sprach von einem “Angriff auf die demokratische Opposition und die Zivilgesellschaft in der Türkei”.

Reaktionen aus Deutschland und Frankreich

Frankreichs Außenministerium warnte davor, dass die Festnahmen “schwere Konsequenzen für die türkische Demokratie” haben könnten. Auch die deutsche Bundesregierung äußerte sich besorgt. Sebastian Fischer, Sprecher des Auswärtigen Amts, sprach von einem “schweren Rückschlag für die Demokratie” in der Türkei.

“Diese Verhaftung ist Teil einer intensiveren juristischen Kampagne, um İmamoğlu als stärksten Herausforderer von Präsident Erdoğan unter Druck zu setzen”, sagte Fischer gegenüber AFP.

“Ein Angriff auf die Demokratie”

Die Festnahmen haben nicht nur in Europa, sondern auch in der Türkei selbst für Empörung gesorgt. Der Bürgermeister von Athen, Haris Doukas, zeigte sich solidarisch mit İmamoğlu und bezeichnete dessen Verhaftung als einen Angriff auf die Demokratie.

Özgür Özel, Vorsitzender der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), sprach sogar von einem “Putschversuch” gegen den nächsten möglichen Präsidenten der Türkei. “Wir erleben hier einen Staatsstreich gegen die Zukunft unseres Landes”, sagte er.

Der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt zog Parallelen zu globalen Entwicklungen und fragte, ob sich die Türkei angesichts geopolitischer Spannungen weiter in Richtung Autoritarismus bewege.

Historische Parallelen und politische Konsequenzen

Politikwissenschaftler Alexander Clarkson erinnerte daran, dass Erdoğan selbst einst durch eine Gefängnisstrafe politisch gestärkt wurde. “Der letzte Bürgermeister von Istanbul, der von einer autoritären Regierung inhaftiert wurde, wurde später Präsident der Türkei”, schrieb er.

Ähnlich äußerte sich der Politologe Soner Çağaptay: “1999 machte das türkische politische System aus einem Gefangenen einen politischen Helden – Erdoğan. Die Verhaftung İmamoğlus könnte denselben Effekt haben und ihn zur politischen Ikone machen.”

EU fordert Konsequenzen – Erdoğan verschärft Repressionen

Die Europäische Demokratische Partei (EDP) warnte vor einer weiteren Eskalation der politischen Repressionen in der Türkei. “Das Blockieren von Social Media, das Schließen von U-Bahn-Stationen und das Unterdrücken von Protesten – das sind Taktiken autoritärer Regime. Europa darf nicht schweigen”, erklärte die Partei in einem Statement.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) nannten die Festnahmen einen “eklatanten Missbrauch” der Justiz. Emma Sinclair-Webb, Türkei-Direktorin von HRW, sprach von einem wiederholten Muster politisch motivierter Ermittlungen gegen die Opposition und forderte die sofortige Freilassung der Inhaftierten.

İmamoğlu, der 2019 überraschend das Bürgermeisteramt von Istanbul gewann, gilt als einer der stärksten Herausforderer Erdoğans. Seine politische Karriere war von Beginn an mit juristischen Schikanen belastet. 2022 wurde er wegen angeblicher Beamtenbeleidigung zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt, konnte die Strafe jedoch anfechten. Seitdem laufen gegen ihn neue Verfahren, darunter Korruptionsvorwürfe und angebliche Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die jüngsten Ereignisse zeigen: Die Türkei entfernt sich immer weiter von demokratischen Grundsätzen – mit ungewissen Folgen für das Land und seine internationalen Beziehungen.

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