Türkei blockiert über 27.000 Social-Media-Konten in vier Monaten

0

Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya teilte am Mittwoch mit, dass in den ersten vier Monaten des Jahres 2025 insgesamt 27.304 Social-Media-Konten blockiert wurden. Dies sei Teil der verstärkten digitalen Maßnahmen der Regierung, berichtete die Nachrichtenagentur Demirören.

Yerlikaya äußerte sich während eines von der Regierung organisierten Workshops in Ankara zum Thema „Synthetische Medien und Desinformation“ und verteidigte die Politik seines Ministeriums als notwendig für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung. Von Januar bis April 2025 seien demnach 6.765 URLs sowie 27.304 Social-Media-Accounts gesperrt worden.

Wie viele der blockierten Konten in Verbindung mit politischer Aktivität standen, ließ Yerlikaya offen. Menschenrechtsorganisationen und Überwachungsstellen für digitale Zensur berichten jedoch, dass in den vergangenen Monaten zahlreiche Journalisten, Aktivisten und regierungskritische Stimmen ins Visier genommen worden seien.

Seit seiner Amtsübernahme im Juni 2023 seien insgesamt 237.753 Konten mit „kriminellen Inhalten“ identifiziert worden, so Yerlikaya weiter. Darunter befanden sich 21.214 URLs und 112.854 Social-Media-Accounts, die anschließend gesperrt wurden.

Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Besorgnis über das, was Kritiker als weitreichenden Versuch der türkischen Behörden betrachten, mit vagen nationalen Sicherheitsgesetzen und beschleunigten Gerichtsverfahren abweichende Meinungen zu unterdrücken.

Bei der Veranstaltung der Direktion für Kommunikation stellte Yerlikaya das digitale Vorgehen der Regierung als Maßnahme zur öffentlichen Sicherheit dar und verwies auf internationale Studien, die die rasche Verbreitung von Falschinformationen im Internet belegten.

Er nannte unter anderem einen 2023 in der Fachzeitschrift Science erschienenen Artikel, wonach sich Fake News sechsmal schneller verbreiteten als verifizierte Informationen, sowie eine Studie der Stanford-Universität, der zufolge fast 70 Prozent der Teilnehmer Schwierigkeiten hätten, Deepfake-Videos von authentischen Aufnahmen zu unterscheiden.

Yerlikaya betonte, dass diese Entwicklungen nicht nur ein technisches Problem darstellten, sondern eine breitere Krise des öffentlichen Vertrauens und der Sicherheit bedeuteten.

Die türkischen Cybercrime-Einheiten von Polizei und Gendarmerie arbeiteten rund um die Uhr daran, Inhalte zu identifizieren und zu entfernen, die als schädlich für die öffentliche Ordnung oder die nationale Moral angesehen würden, sagte er.

Beschwerden der Bevölkerung über problematische Inhalte würden umgehend bearbeitet; Beiträge, die Unruhe schüren oder synthetische Desinformation verbreiten sollten, würden unverzüglich gelöscht.

Zudem warf Yerlikaya globalen Plattformen eine selektive Zensur vor, insbesondere bei Inhalten zu Konflikten in mehrheitlich muslimischen Regionen wie dem Gazastreifen.

Beiträge zur Unterstützung Palästinas würden auf Plattformen wie Instagram, YouTube und TikTok unter dem Vorwand der Verletzung von Inhaltsrichtlinien entfernt oder herabgestuft.

Dies gleiche einer „algorithmischen Inhaftierung“ palästinensischer Stimmen, so Yerlikaya, und stütze sich auf ähnliche Kritik von Amnesty International und Human Rights Watch.

Er erinnerte auch an vergleichbare Zensurpraktiken während der Rohingya-Krise in Myanmar und warf den Plattformen vor, zur Unterdrückung humanitärer Narrative beizutragen.

Yerlikaya warnte davor, dass synthetische Medien zunehmend als Instrument globaler Informationskontrolle durch hegemoniale Akteure der Technologiebranche genutzt würden.

Zugleich hob er hervor, dass neue digitale Bedrohungen wie Betrug, illegales Glücksspiel, Kinderpornografie und Cybermobbing zu grenzüberschreitenden kriminellen Herausforderungen geworden seien, denen Regierungen dringend begegnen müssten.

Er kündigte an, dass die Regierung Cyberkriminalität mit der gleichen Entschlossenheit bekämpfen werde, wie sie es im Kampf gegen Terrorismus und Drogen tue. Die türkische Regierung stellt Online-Zensur seit Langem als Teil ihres Anti-Terror- und Ordnungssicherungsprogramms dar.

Kritiker hingegen argumentieren, dass die vagen Definitionen unter Gesetzen wie dem türkischen Gesetz Nr. 5651 willkürliche Sperrungen erlauben – häufig auch gegenüber regierungskritischen Inhalten.

Gerichtsbeschlüsse der letzten Monate führten zur Blockierung hunderter oppositioneller Accounts, darunter von im Exil lebenden Journalisten, unabhängigen Medienhäusern und sogar des offiziellen Accounts von Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, dem wichtigsten politischen Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Internationale Organisationen wie die Freedom of Expression Association (İFÖD) und EngelliWeb dokumentieren seit der Verhaftung İmamoğlus im März einen starken Anstieg an staatlichen Löschanordnungen.

Viele der blockierten Accounts verloren dadurch nicht nur in der Türkei, sondern weltweit deutlich an Sichtbarkeit, berichten betroffene Nutzer und digitale Rechteorganisationen.

Die Regierung gibt keine konkreten Kriterien bekannt, nach denen Accounts als kriminell oder Inhalte als Desinformation eingestuft werden.

Gerichtsentscheidungen zur Aufhebung solcher Sperrungen sind selten, und Berufungsverfahren können Monate oder Jahre dauern.

Plattformen, die sich weigern, türkische Anordnungen umzusetzen, müssen mit Drosselungen oder Werbeverboten rechnen, was durch jüngste Gesetzesänderungen noch verschärft wurde.

Seit der Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk, der häufig Accounts im Exil lebender Journalisten auf türkische Gerichtsanordnungen hin sperrt, hat sich der Trend zur Plattform-Compliance weiter verstärkt.

Türkische Maßnahmen zur digitalen Zensur gelten laut Beobachtern der Pressefreiheit als ein Hauptgrund für das schlechte Abschneiden des Landes in internationalen Medienfreiheitsindizes.

 

No comments