Türkische Ärztekammer fordert Freilassung von Ayşe Barım aus gesundheitlichen Gründen

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Der Wissenschaftliche Beirat der Türkischen Ärztekammer (TTB) hat in einem Gutachten erklärt, dass Ayşe Barım, die seit dem 27. Januar in Haft sitzt und unter schweren gesundheitlichen Problemen wie Hirnblutung und plötzlichem Herzstillstand leidet, so bald wie möglich in eine Umgebung gebracht werden müsse, in der ihre Behandlung durch einen oder mehrere von ihr selbst gewählte Ärzte erfolgen kann.

Nachdem Barıms Rechtsanwalt aufgrund ihres Gesundheitszustandes ein medizinisches Gutachten beantragt hatte, bildete die TTB ein Gremium aus acht Fachärzten verschiedener Disziplinen. Dieses wertete die medizinischen Unterlagen aus, prüfte im Hinblick auf das Recht auf Leben und Gesundheitsversorgung, ob ihre Erkrankungen eine Fortsetzung der Haft ausschließen, und erstellte dazu ein 19-seitiges medizinisches Gutachten sowie eine 16-seitige rechtliche Bewertung.

Ayşe Barım ist eine bekannte türkische Talentmanagerin. Im Januar 2025 wurde sie im Zusammenhang mit den Gezi-Park-Protesten von 2013 festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, durch ihre Position und Vernetzung Künstler:innen zur Teilnahme an den Protesten motiviert zu haben, wodurch sie sich des versuchten Umsturzes der Regierung schuldig gemacht haben soll.

Die Beurteilung wurde heute in einer Erklärung der Öffentlichkeit vorgestellt. Darin heißt es:

„Lebensbedrohliche Erkrankungen“

Die Auswertung der ärztlichen Untersuchungsberichte und Befunde vor und nach der Inhaftierung habe ergeben, dass Barım an Krankheiten leide, die jeweils für sich genommen ein Risiko plötzlichen Todes oder bleibender Behinderung bergen: ein Hirnaneurysma, eine aufgrund einer Myokardstörung verengte Ausflussbahn der linken Herzkammer mit Klappeninsuffizienz, sowie Schlafapnoe. Hinzu komme eine schwere Angststörung mit Panikattacken, ausgelöst durch die Sorge, dass sich die mit diesen drei Erkrankungen verbundenen Risiken in Haft realisieren könnten.

Die Haftbedingungen führten dazu, dass sich diese Krankheiten gegenseitig verstärkten und verschlimmerten. Die Angststörung und die Panikattacken hinderten Barım daran, das für die Schlafapnoe notwendige Gerät zu benutzen. Zugleich beeinträchtigten sie die Hirndurchblutung und erhöhten so das Risiko einer Aneurysmaruptur mit Hirnblutung. Darüber hinaus steige das Risiko von Herzrhythmusstörungen und plötzlichem Herzstillstand infolge der bestehenden Herzerkrankung.

Insbesondere die Behandlungen der Herzprobleme und des Hirnaneurysmas seien selbst in spezialisierten Zentren mit erfahrenen Teams und modernster Technik mit erheblichen Risiken für Leben und Gesundheit verbunden.

„Gefahr der Verletzung des Rechts auf Leben“

Barım habe sich dieser Risiken bewusst vor ihrer Festnahme in mehreren Kliniken ärztlichen Rat eingeholt und entschieden, die notwendigen Behandlungen in einem von ihr ausgewählten Zentrum durchführen zu lassen. Durch ihre Festnahme seien die Therapien nicht erfolgt. In den nach der Inhaftierung aufgesuchten Krankenhäusern habe sie von Ärzten empfohlene ähnliche Behandlungen abgelehnt und stattdessen auf Durchführung in der von ihr gewählten Einrichtung bestanden.

Das Verständnis von Gesundheit als Recht und die Berücksichtigung ihrer sozialen Determinanten erforderten, dass Inhaftierte unter Bedingungen festgehalten werden, die ihre Würde wahren und ihre medizinische Versorgung sicherstellen. Es sei absehbar, dass Barım unter den gegenwärtigen Haftbedingungen mit den diagnostizierten Erkrankungen nicht werde umgehen können, ohne dass es zu einer dauerhaften Verletzung ihres Rechts auf Gesundheit und Leben komme, zu einer Verschlechterung ihres Zustandes sowie zu einer Belastung, die das unvermeidliche Leid einer Haft deutlich übersteige.

Angesichts der bestehenden Krankheiten könne eine Fortsetzung der Haft nicht nur als Verletzung des Rechts auf Gesundheit, sondern auch als Verstoß gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gewertet werden. Unter Berücksichtigung internationaler Abkommen, des UN-Istanbul-Protokolls, der UN-Mandela-Regeln und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sei es erforderlich, dass die Diagnose und Behandlung durch von Barım gewählte Ärzte unverzüglich ermöglicht werde.

„Keine Fluchtgefahr“

Auch aus juristischer Sicht kam das Gremium zu dem Schluss, dass Barıms Verbleib in einer Justizvollzugsanstalt nicht vertretbar sei.

Es wurde festgestellt, dass die materiellen Voraussetzungen des Artikels 109/4 der Strafprozessordnung erfüllt seien, dass eine Entlassung aus der Untersuchungshaft auch ohne Anwendung dieser Vorschrift möglich und aufgrund der besonderen gesundheitlichen Situation geboten sei.

Die schwere gesundheitliche Lage lasse den Schluss zu, dass keine Fluchtgefahr bestehe und die Untersuchungshaft nicht als notwendige Sicherungsmaßnahme angesehen werden könne. Die materiellen Voraussetzungen für eine Fortdauer der Haft lägen nicht vor, und ihre Fortsetzung sei unverhältnismäßig.

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