Geburt in Haft: Schwangere Lehrerin in der Türkei bringt Kind zur Welt

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Eine türkische Lehrerin, die im neunten Monat schwanger war, hat unter gerichtlicher Aufsicht entbunden. Ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf die Behandlung von Frauen in Haft sowie auf den weitreichenden Einsatz der Antiterrorgesetze durch die Regierung in Ankara.

Wie die Journalistin Sevinç Özarslan auf dem Nachrichtenportal TR724 berichtet, brachte die 37-jährige Religionspädagogin Merve Zayım am Montagmorgen in der Universitätsklinik Trakya in der westtürkischen Provinz Edirne einen Sohn zur Welt. Zuvor war sie aus der Strafvollzugsanstalt vom Typ L in Edirne dorthin überstellt worden, in der sie seit dem 2. Juli in Untersuchungshaft saß. Zayım war Anfang Juli festgenommen worden, als sie versuchte, die Türkei zu verlassen. Trotz zahlreicher Appelle und eindeutiger gesetzlicher Vorgaben, die Schwangere vor Inhaftierung schützen sollen, blieb sie bis zur Geburt in Haft.

Zayım war zu mehr als sechs Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verurteilt worden. Grundlage der Verurteilung waren ihre frühere Tätigkeit an einer inzwischen geschlossenen Gülen-nahen Privatschule, die angebliche Nutzung der verschlüsselten Messenger-App ByLock sowie Zeugenaussagen. Seit mehr als drei Jahren ist ihre Berufung beim Obersten Gerichtshof anhängig.

Nach türkischem Recht dürfen Frauen, die schwanger sind oder innerhalb der letzten 18 Monate entbunden haben, eine Freiheitsstrafe nicht antreten. Artikel 16 Absatz 4 des Strafvollzugsgesetzes sieht ausdrücklich eine Aufschiebung der Haft für die Dauer der Schwangerschaft und bis zum 18. Lebensmonat des Kindes vor.

Diese Regelung gilt jedoch erst nach rechtskräftigem Urteil. In der Praxis ordnen Gerichte die Untersuchungshaft von Schwangeren an, solange ihre Verfahren noch im Instanzenzug sind – mit dem Argument, das Aufschubgebot beziehe sich nicht auf die U-Haft.

Kritiker werfen der Justiz vor, damit den Sinn des Gesetzes wie auch internationale Standards zu untergraben. Die Vereinten Nationen empfehlen in ihren „Bangkok Rules“ ausdrücklich nicht-freiheitsentziehende Maßnahmen für Schwangere und Mütter kleiner Kinder.

Auch Zayıms Ehemann wies in Interviews auf diesen Widerspruch hin: „Selbst wenn das Urteil rechtskräftig wäre, müsste ihre Strafe ausgesetzt werden, weil sie schwanger ist. Dennoch wird sie in Haft gehalten, ohne dass ein endgültiges Urteil vorliegt.“

Acht Jahre Belastung

Zayım hatte 2012 die theologische Fakultät der Marmara-Universität abgeschlossen und danach am Samanyolu-Gülbahar-Gymnasium in Eskişehir gearbeitet – einer von Tausenden Bildungseinrichtungen, die 2016 geschlossen wurden, nachdem die Regierung die Gülen-Bewegung zur Terrororganisation erklärt und ihr den gescheiterten Putschversuch angelastet hatte. Seither wurden mehr als 300.000 Menschen wegen angeblicher Verbindungen zu der Bewegung festgenommen, oftmals auf Basis dünner Indizien wie bestimmter Handy-Apps, Bankkonten oder Beschäftigungsverhältnisse.

In ihren Aussagen vor Gericht schilderte Zayım, wie sehr das Verfahren ihr Familienleben beeinträchtigt habe. „Mein erstes Kind war gerade einmal 32 Tage alt, als ich erstmals in Haft kam“, sagte sie den Richtern. „Jetzt bin ich achteinhalb Monate schwanger. Dieses Verfahren läuft seit acht Jahren. Mein Mann und ich haben uns freiwillig der Gendarmerie gestellt. Ich kann ein Neugeborenes nicht im Gefängnis großziehen.“

Das Gericht zeigte sich unbeeindruckt. Das 2. Hohe Strafgericht in Eskişehir lehnte ihre Entlassungsgesuche fünfmal ab.

Der Arzt und Abgeordnete der prokurdischen Partei DEM, Ömer Faruk Gergerlioğlu, besuchte Zayım Anfang August im Gefängnis und bezeichnete die Haftbedingungen als „unzumutbar für eine Schwangere“. Sie habe sich mit mehreren Frauen eine Zelle teilen müssen, keine angemessene Schwangerschaftsvorsorge erhalten und hätte längst auf freien Fuß gesetzt werden müssen.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Jahren die Inhaftierung von Schwangeren und Müttern mit Säuglingen in der Türkei. Nach Angaben des Stockholm Center for Freedom wurden nach dem Putschversuch mindestens 80 schwangere Frauen festgenommen oder in Haft genommen. Vielen sei eine angemessene medizinische Versorgung verweigert worden; in manchen Fällen seien Neugeborene von ihren Müttern getrennt worden.

Der Fall verweist zugleich auf ein grundsätzliches Problem: die großzügige Anwendung der Untersuchungshaft, vor allem in politisch sensiblen Verfahren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wiederholt wegen mangelnder Beweise oder überlanger U-Haft verurteilt.

Am Montagabend befand sich Zayım weiterhin mit ihrem Neugeborenen unter Bewachung im Krankenhaus. Sollte das Gericht seine Entscheidung nicht revidieren, droht ihre Rückverlegung ins Gefängnis unmittelbar nach der Entlassung aus der Klinik.

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