Fatih Yurtsever
Nach dem Sturz von Bashar al-Assad stehen die Türkei und Israel im Mittelpunkt der geopolitischen Entwicklungen in Syrien. Während die Türkei ihren Einfluss ausbaut, schwächt Israel syrische Militärkapazitäten. Beide Länder erkennen die Notwendigkeit, ihre Politik im Einklang mit den Zielen der USA für eine neue Ordnung im Nahen Osten zu gestalten.
Der Zusammenbruch des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien, einem Staat, der einst unter dem maßgeblichen Einfluss von Iran und Russland stand, hat eine neue Ära geopolitischer Rivalität eingeleitet, die die Machtstrukturen im Nahen Osten grundlegend neu ordnet. Nach dreizehn Jahren verheerenden Bürgerkriegs wurde Baschar al-Assad schließlich durch eine von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angeführte Rebellenoffensive gestürzt, woraufhin die Assad-Familie ins russische Exil floh. Dadurch entstand ein Machtvakuum, in dem diverse Rebellengruppen die Kontrolle über unterschiedliche Regionen des Landes übernommen haben. Angesichts des zunehmend schwindenden Einflusses von Iran und Russland – den einst dominierenden Machtzentren in Damaskus – streben die beiden regionalen Schwergewichte, Israel und die Türkei, mit Nachdruck an, das entstehende Machtvakuum zu füllen und ihre jeweilige Einflusszone auszubauen.
Der Sturz Assads nahm seinen Anfang mit einem breiten Volksaufstand im Jahr 2011, der sich rasch zu einem verheerenden Bürgerkrieg auswuchs. Zunächst befürwortete die Türkei den Regimewechsel, verschob jedoch später ihre Unterstützung zugunsten von Gruppen wie Hayat Tahrir al-Sham (HTS), um ihren Einfluss in Nordsyrien entscheidend zu verstärken. Die türkische Strategie zielte darauf ab, die schwindende Präsenz von Iran und Russland in der Region zu nutzen und das entstandene Machtvakuum mit eigener Kraft – sowohl auf diplomatischer als auch militärischer Ebene –zu füllen. Berichten zufolge leistete die Türkei Unterstützung für die Offensive von HTS, die den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad anstrebte, was einen fundamentalen Allianzwechsel markiert, der das Land noch weiter von seinen langjährigen Verbündeten Iran und Russland entfremdet. Teheran ließ durchscheinen, dass HTS ohne die strategische Unterstützung der Türkei keine derartigen territorialen Gewinne erzielt hätte.
Mit dem Sturz Assads wird Präsident Recep Tayyip Erdoğan zunehmend als führende Gestalt der sunnitischen muslimischen Welt wahrgenommen. Erdoğan verfolgt seit Jahren das ambitionierte Ziel, die Türkei zu einer der zentralen regionalen Großmächte im Nahen Osten zu etablieren. Wiederholt hat er hervorgehoben, dass bei einer anderen Aufteilung des Osmanischen Reiches nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg eine Reihe syrischer Städte, darunter Aleppo und Damaskus, möglicherweise Teil der heutigen Türkei geworden wären. Nach dem Sturz Assads Anfang dieses Monats reagierte die Türkei schnell und eröffnete ihre Botschaft in Damaskus erneut. Darüber hinaus verstärkte sie ihre Unterstützung für Hayat Tahrir al-Sham (HTS), um das aufkommende islamistische Regierungssystem des Landes zu fördern und ihre eigene Einflusszone auszubauen. In einem von Murhaf Abu Qasra, dem neu ernannten Übergangsverteidigungsminister Syriens, vorgestellten Plan wird angestrebt, die disparate Oppositionsbewegung in eine kohärente militärische Struktur zu integrieren, um die neuen politischen Kräfte zu konsolidieren und eine stabile Machtbasis zu schaffen.
Die Türkei verfolgt das Ziel, die syrischen Oppositionsgruppen, die den Sturz von Baschar al-Assad herbeigeführt haben, dabei zu unterstützen, innerhalb der nächsten 18 Monate eine vereinte Militärstreitmacht von 300.000 Soldaten aufzubauen. Eine Schlüsselrolle in dieser Initiative wird den türkischen Militärberatern zugeschrieben, wie eine regierungsnahe türkische Nachrichtenwebsite am Montag berichtete. Laut der türkischen Nachrichten, sollen Soldaten der Türkischen Streitkräfte an fünf strategisch wichtigen Orten unterstützend tätig werden. General Ahmad Osman, ein Militärvertreter der Übergangsregierung Syriens, hatte zuvor geschätzt, dass die Kerntruppe in der ersten Phase etwa 70.000 bis 80.000 Soldaten umfassen werde. Zu diesem Kernverband zählen rund 50.000 Soldaten der Syrischen Nationalarmee sowie 40.000 Kämpfer, die zuvor mit Hayat Tahrir al-Sham (HTS) verbunden waren, ebenso wie ehemalige Offiziere, die während des Assad-Regimes nicht in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren. Sobald eine dauerhafte Regierung in Damaskus etabliert ist, hofft die Türkei zudem, mit Syrien ein Abkommen zur Abgrenzung von ausschließlichen Wirtschaftszone im Mittelmeer zu verhandeln, um die Energieexploration in dieser Region voranzutreiben. Dies erklärte der türkische Minister für Verkehr und Infrastruktur, Abdülkadir Uraloğlu, am Dienstag laut einem Bericht von Bloomberg.
Das geplante Abkommen würde die „Einflusssphären“ der beiden Länder über Energieressourcen ausweiten, erklärte Uraloğlu und betonte, dass jedes Abkommen im Einklang mit dem internationalen Recht stehen würde. Mit etwa 3 Millionen syrischen Migranten im Land richtet die Türkei ihren Blick auch auf Chancen für türkische Unternehmen im Wiederaufbau Syriens nach dem Krieg.
Die Beziehung der Türkei zu den kurdischen Gruppen in Syrien, insbesondere den Volksverteidigungseinheiten (YPG), ist von Komplexität geprägt. Während die Türkei die YPG als Terrororganisation betrachtet, die mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Verbindung steht, kooperiert die USA mit diesen Gruppen, da sie sie als entscheidende Verbündete im Kampf gegen die extremistische Gruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL) ansehen. Dies hat zu Spannungen in den bilateralen Beziehungen zwischen den USA und der Türkei geführt und ein diplomatisches Dilemma für beide Länder offenbart, die in der Region mit konkurrierenden Interessen konfrontiert sind.
In der Tat ist es das Entstehen einer autonomen kurdischen Region entlang der Grenze, das die Türkei am meisten beunruhigt. Sie betrachtet dies als eine ernsthafte Sicherheitsbedrohung, vor allem aufgrund möglicher Verbindungen zu kurdischen separatistischen Bewegungen innerhalb des Landes. Die militärische Präsenz der USA im Nordosten Syriens verfolgt dabei eine doppelte Zielsetzung: Zum einen geht es um die Sicherung der Ölfelder, um einer Wiedererstarkung des ISIL entgegenzuwirken, und zum anderen fungiert diese Präsenz als Puffer gegen den iranischen Einfluss, der die kurdische Autonomie innerhalb eines vereinten syrischen Staates unterstützt.
In der Vergangenheit haben die USA versucht, auf die Türkei zuzugehen, indem sie die Bewegungen der YPG in Grenznähe einschränkten und Konsultationen zur Deeskalation führten. Angesichts der jüngsten türkischen Drohungen bekräftigte die US-Regierung jedoch erneut ihre Unterstützung für die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), unter Hinweis auf deren zentrale Rolle im Antiterrorkampf und der Stabilisierung der Region. Dennoch befinden sich die USA in einem Spannungsverhältnis, in dem sie ihre strategischen Interessen vorantreiben, ohne die Türkei – ihren NATO-Partner – übermäßig zu provozieren. Die jüngsten Erklärungen von US-Beamten bekräftigen nach wie vor die Unterstützung für die SDF, ohne dass aufgrund des türkischen Drucks eine unmittelbare Veränderung der politischen Haltung zu erwarten ist.
Für die Vereinigten Staaten ist die Kontrolle der Grenze zwischen Syrien und dem Irak entscheidend, um die Bewegung und logistische Unterstützung pro-iranischer Milizen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund erscheint es unwahrscheinlich, dass die USA eine türkische Militärintervention billigen werden, die die Kontrolle der YPG über diese Grenzregion gefährden könnte. Eine pragmatische Lösung für die türkische Position könnte darin bestehen, Druck auf die YPG auszuüben, etwa durch Gruppen wie HTS, um sie zur Aufgabe der Waffen zu zwingen. Das Problem dabei ist jedoch, die YPG dazu zu bewegen, auf diesen Appell einzugehen, insbesondere angesichts der langanhaltenden türkischen Militärpräsenz in syrischem Gebiet. Die PYD (Partei der Demokratischen Union, auf syrisch: Partiya Yekîtiya Demokrat) könnte als Vorbedingung einen Rückzug der türkischen Truppen fordern, um die Waffen niederzulegen, was letztlich die türkische Einflussnahme in Syrien beenden würde.
Es ist daher noch zu früh, die Türkei als unumstrittenen Sieger in der geopolitischen Landschaft Syriens zu bezeichnen. Eine solche Strategie, die darauf abzielt, die Zukunft Syriens durch eine schwer kontrollierbare Gruppe wie HTS zu gestalten, könnte unvorhersehbare und möglicherweise nachteilige Konsequenzen für die Türkei haben. Zudem würde die internationale Unterstützung für die Türkei rasch schwinden, wenn in Syrien erneut ein Bürgerkrieg ausbrechen sollte, wobei die Türkei dann möglicherweise für das erneute Chaos verantwortlich gemacht werden würde. Wie bereits von Präsident Wladimir Putin während des traditionellen Jahresgesprächs in Russland festgestellt wurde, ist Israel der bisher größte Gewinner des Syrien-Konflikts. Lina Khatib äußert in ihrem Artikel im Magazin Foreign Policy, dass der Sturz des Assad-Regimes definitiv das Ende der regionalen Ordnung unter iranischer Dominanz markieren und eine neue regionale Ordnung hervorbringen wird, die von Israel und seinen Verbündeten angeführt wird.
Für Khatib wird dieser Wandel Israel, einst ein von Feinden umzingelter Staat auf der Suche nach regionaler Legitimität, zu einem der maßgeblichen Akteure im Nahen Osten machen. Angesichts seiner engen Beziehungen sowohl zu den Vereinigten Staaten als auch zu Russland wird Israel diese Verbindungen zu seinem Vorteil nutzen, um sich als zentralen Spieler in der Region zu positionieren. Der Sturz des Assad-Regimes hat bereits direkt die Fähigkeit Irans beeinträchtigt, seine „Achse des Widerstands“ aufrechtzuerhalten, insbesondere durch den Bruch der Landverbindung, die als Versorgungsweg für die Hisbollah im Libanon diente – eine äußerst wichtige Route für den Transport von Waffen und Personal. Nun, da Assad nicht mehr an der Macht ist, kann Israel diese Versorgungswege weitaus effektiver blockieren oder zumindest überwachen, was die Bedrohung durch die Hisbollah an seiner Nordgrenze erheblich verringert.
Israel hat die Gelegenheit genutzt, die militärischen Fähigkeiten Syriens nach dem Sturz Assads zu schwächen, indem es Luftabwehrsysteme, Raketenlager, Marineeinheiten und Chemiewaffenanlagen angriff. Dies schwächt nicht nur einen zukünftigen syrischen Staat, sondern stellt auch sicher, dass diese Waffen weder in die Hände extremistischer Gruppen fallen noch eine Bedrohung für Israel darstellen. Israel rückte in den syrischen Teil des Quneitra-Gouvernements vor, genauer gesagt in die demilitarisierte oder Pufferzone östlich der von Israel besetzten Golanhöhen, die nach dem Arabisch-Israelischen Krieg von 1973 eingerichtet wurde. Eines ihrer Ziele war das Dorf Al-Hamidiyah, und der Vorstoß erstreckte sich auf strategische Positionen wie den Hermonberg, wo Israel die Kontrolle über einen verlassenen syrischen Militärposten übernahm.
Während Israel und die Türkei heute wahrscheinlich die beiden dominierenden Akteure in Syrien sind, müssen ihre politischen Strategien letztlich in die US-Vision einer neuen Ordnung im Nahen Osten integriert werden — eine Strategie, die sich besonders nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 herauskristallisierte. Der Kern der US-Vision besteht darin, den politischen und militärischen Einfluss Irans in Syrien, Libanon, Jemen und im Irak einzudämmen, die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu fördern und den Nahen Osten zu einem Handels- und Energiekorridor ohne chinesische und russische Einflüsse für die EU-Länder und Indien zu machen. Trotz jahrelanger politischer Rhetorik, bei der Israel und die Türkei einander als Rivalen dämonisierten, erkennen sowohl Tel Aviv als auch Ankara die pragmatische Realität, dass ihre jeweiligen Syrien-Politiken im Einklang mit den amerikanischen Zielen in der Region stehen sollten. Die Wahrscheinlichkeit eines direkten Konflikts zwischen der Türkei und Israel in Syrien ist gering, und es gibt reichlich Raum für Zusammenarbeit in Bereichen von gemeinsamen Interessen. Die USA benötigen beide Länder, um den iranischen Einfluss im Irak einzudämmen, was die Kooperation umso dringlicher macht.
*Fatih Yurtsever, ein ehemaliger Marineoffizier der Türkischen Streitkräfte, aufgrund der Sicherheitsbedenken verwendet er ein Pseudonym
Erstveröffentlichung: 26. December 2024, https://turkishminute.com/2024/12/26/analysis-fall-of-assad-how-turkey-and-israel-could-shape-a-new-middle-east-order/
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