„Wir hatten nie ein Fest“ – Die Samstagsmütter fragen zum 1054. Mal nach dem Verbleib ihrer Angehörigen

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Zum 1054. Mal versammelten sich die Samstagsmütter auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul, um an ihre in staatlichem Gewahrsam verschwundenen Angehörigen zu erinnern und Gerechtigkeit einzufordern. In dieser Woche stand das Schicksal von Veysel Güney im Fokus – ein 24-jähriger Mann, der nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 hingerichtet wurde. Seine sterblichen Überreste wurden seiner Familie nie übergeben.

An der Aktion nahmen neben den Angehörigen auch Menschenrechtsaktivist:innen und Politiker:innen teil, darunter Halide Türkoğlu, Sprecherin der Frauenversammlung der DEM-Partei.

Mit Fotos der Verschwundenen und roten Nelken in den Händen erinnerten die Teilnehmenden an ihre Verlorenen. Zeynep Yıldız, Mitglied der Kommission für Verschwundene des Menschenrechtsvereins İHD, erklärte:

„Unsere Lieben wurden in Gewahrsam genommen und verschwanden spurlos. An Feiertagen haben wir kein Grab, das wir besuchen können. Deshalb bringen wir unsere Nelken, die zum Symbol unserer Verluste wurden, hierher auf den Galatasaray-Platz.“

Das Schicksal von Veysel Güney

Zeynep Yıldız berichtete, dass Veysel Güney am 28. Dezember 1980 in Gaziantep bei einer Hausdurchsuchung verletzt festgenommen wurde.

„Er wurde vor dem Militärgericht Nr. 2 des Kriegsrechtskommandos in Adana angeklagt. Ein Anwalt wurde ihm verweigert, sein Recht auf Verteidigung ignoriert. Bereits in der zweiten Verhandlung am 17. Februar 1981 wurde er ohne belastende Beweise zum Tode verurteilt. Durch ein Sondergesetz – ohne Parlamentsbeschluss – wurde das Urteil am 10. Juni 1981 im Gefängnis von Gaziantep vollstreckt.“

Angeblich wurde der Leichnam mit Protokoll Nr. 266 dem Offizier Burhan Erdem zur Übergabe an die Familie übergeben. Doch die Angehörigen erhielten den Körper nie. Jahrelang suchten Familie und Freunde nach dem Grab.

2006 tauchte ein Hinweis im Friedhofsregister von Gaziantep auf: Am 9. Juni 1981 sei eine „unbekannte Person“ mit der Notiz „hingerichtet“ im Grab Nr. 105341 bestattet worden. Die sterblichen Überreste wurden exhumiert und DNA-Proben entnommen – doch die Analyse ergab angeblich keine Übereinstimmung mit den Eltern Zeynep und Ali Güney.

„Es bestehen große Zweifel daran, ob die richtigen Proben untersucht wurden oder ob das Ergebnis manipuliert ist“, so Yıldız.

„Unsere Toten sind unter uns“

Ismail Yücel, ein Freund von Veysel Güney, las einen Brief von dessen Bruder Ayhan Güney vor:

„Mein Bruder lebt weiter – in den Erinnerungen seiner Freunde, in unserem Schmerz, in unserem Alltag. Unsere Mutter, die 2012 verstarb, konnte seinen Namen nicht einmal aussprechen. Unser Vater, der 2014 starb, hatte viele Träume mit seinem Sohn – wer weiß welche? Aber wir wissen: So wie alle unsere Verschwundenen ist auch Veysel nicht vergessen. Er ist unter uns.“

Familien: „Wir feiern keine Feste“

Auch andere Familien äußerten ihre Stimmen. Sevim Erişti, Schwester des verschwundenen Yusuf Erişti, sagte:

„Seit 30 Jahren hatten wir kein einziges Fest. Wir wollen nur einen Grabstein, um Abschied nehmen zu können.“

Hanife Yıldız, Mutter von Murat Yıldız, erklärte:

„Seit 30 Jahren konnte ich kein Festmahl zubereiten, nicht lachen, nicht spielen mit meinem Sohn. Wir gedenken heute all unserer Vermissten.“

Mikail Kırbayır, Bruder des verschwundenen Cemil Kırbayır, kritisierte die Abriegelung des Galatasaray-Platzes:

„Seit dem Verschwinden von Hasan Ocak ist dieser Platz für uns heilig. Wir werden nicht aufhören, hier zu fragen: Wo sind unsere Lieben?“

Auch Hanım Tosun, Ehefrau des 1995 verschwundenen Fehmi Tosun, sprach:

„Die Welt hörte unsere Stimmen von diesem Platz. Wir sind Menschen ohne Gräber. Seit 30 Jahren suchen wir unsere Toten – nicht nur ihre Knochen, auch ihre Mörder sollen vor Gericht gebracht werden. Diese Barrieren sind die Schande dieses Landes.“

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