Die Justiz als politisches Werkzeug? Starke Kritik von Gründungsmitglied der AKP

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Hüseyin Çelik, Mitbegründer der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und ehemaliger Bildungsminister, hat die Entwicklung der türkischen Justiz seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 scharf kritisiert. In einem Interview mit dem Sender KHK TV sprach er von einer „militanten Justiz“, die sich zunehmend als politisches Instrument statt als unabhängige Instanz präsentiere.

Çelik zog Parallelen zu den Unabhängigkeitsgerichten der frühen Republikzeit, die politisch Andersdenkende mit drakonischen Strafen verfolgten. „Wir haben eine Justiz geschaffen, die wie eine Guillotine funktioniert“, sagte er. „Ein Rechtssystem, das nicht mehr im Dienste der Gerechtigkeit steht, sondern als Werkzeug der Macht missbraucht wird.“

Massenverfolgungen und willkürliche Verhaftungen

Seit dem Putschversuch im Juli 2016 wurden laut offiziellen Angaben mehr als 700.000 Menschen wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen ins Visier genommen.

Die Gülen-Bewegung, die sich auf die Lehren des islamischen Gelehrten und Denkers Fethullah Gülen stützt, und sich selbst als Hizmet-Bewegung (türkisch: Dienst) bezeichnet, wird von der türkischen Erdoğan-Regierung beschuldigt, den gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 angeführt zu haben und ist einer massiven Hexenjagd ausgesetzt. Während Ankara die Bewegung als „terroristische Organisation“ einstuft, weist diese jede Beteiligung am Putsch entschieden zurück und wird von keinem westlichen Land als terroristisch eingestuft.

Derzeit befinden sich mehr als 13.000 Menschen wegen Terrorismusvorwürfen in Haft. Viele weitere sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen, einige unter lebensgefährlichen Bedingungen. Zahlreiche Oppositionelle flohen auf riskanten Wegen nach Griechenland, nachdem die Regierung ihre Pässe für ungültig erklärt hatte.

Erosion des Rechtsstaates

Ein besonders umstrittener Aspekt der staatlichen Repression sind die per Notstandsdekret (KHK) vollzogenen Massenentlassungen. Mehr als 130.000 Staatsbedienstete, darunter Richter, Lehrer und Offiziere, wurden ohne individuelle Prüfung ihrer Fälle aus dem Dienst entfernt. Çelik kritisiert diesen Umgang als eklatante Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien: „Auf dem Papier sprechen wir von einer unabhängigen Justiz, doch in Wahrheit täuschen wir uns selbst. Menschen wurden ohne Beweise entlassen, ihre Familien litten mit – eine kollektive Bestrafung, die jeder Rechtsstaatlichkeit widerspricht.“

Die ungelöste Kurdenfrage

Auch zur Kurdenpolitik der türkischen Regierung äußerte sich Çelik kritisch. Er sprach sich gegen eine Autonomie nach irakischem Vorbild aus, plädierte jedoch für tiefgreifende demokratische Reformen. „Wenn die Türkei ein wirklich demokratischer Staat ist, in dem alle Bürger gleiche Rechte genießen, wird sich die Kurdenfrage von selbst lösen“, erklärte er. Er warf der Regierung vor, ihre Haltung gegenüber der kurdischen Bewegung je nach politischer Opportunität zu ändern. „Erdoğan und sein Bündnispartner Devlet Bahçeli haben in der Vergangenheit ihre Positionen so oft gewechselt, dass man ihren Worten keinen Glauben mehr schenken kann.“

Umgang mit politischen Gefangenen

Besonders heikel ist die Debatte um den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan. Çelik betonte, dass politische Gefangene nicht mit zweierlei Maß behandelt werden dürften: „Sollte Öcalan tatsächlich Hafterleichterungen erhalten, dann darf in türkischen Gefängnissen kein anderer politischer Häftling zurückbleiben.“ Er wies auf das Schicksal zahlreicher älterer oder schwerkranker Inhaftierter hin, die trotz gesundheitlicher Probleme weiter in Haft gehalten werden.

Eine Partei im Wandel

Als langjähriges AKP-Mitglied zeigte sich Çelik enttäuscht über die Entwicklung seiner Partei. „Die AKP war einst eine Volkspartei, doch mittlerweile hat sie sich mit dem Staat verschmolzen. Eine Regierungspartei, die sich selbst mit dem Staatsapparat gleichsetzt, verliert langfristig ihre Fähigkeit zur fairen und demokratischen Führung.“

Er warnte davor, dass der zunehmend autoritäre Kurs der Regierung nicht ohne Konsequenzen bleiben werde. „Ein Staat kann nicht nur durch Unterdrückung regieren. Wenn sich Millionen Menschen von der Regierung entfremdet fühlen – sei es aufgrund wirtschaftlicher Not, politischer Verfolgung oder der Marginalisierung ethnischer Gruppen – dann wird Stabilität zur Illusion.“

Mit seiner scharfen Kritik reiht sich Çelik in die Riege ehemaliger AKP-Mitglieder ein, die sich von der aktuellen Regierungspolitik distanziert haben. In Zeiten wachsender Unzufriedenheit könnte seine Stimme ein weiteres Zeichen für den schwindenden Rückhalt der AKP in den eigenen Reihen sein.

Quelle: KHK Tv, Bold, Turkish Minute

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