Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) steht an einem entscheidenden Punkt: Seit heute sind rund 360.000 Mitglieder aufgerufen, online über den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU zu entscheiden. Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt, die CSU hat bereits zugestimmt, die CDU will am 28. April folgen. Sollte alles planmäßig verlaufen, könnte CDU-Chef Friedrich Merz am 6. Mai zum Bundeskanzler gewählt werden. Doch besonders innerhalb der SPD gibt es Widerstand –vor allem von den Jusos, der Jugendorganisation der Partei.
Zwischen Zustimmung und Bauchschmerzen
Am Montagabend machten Lars Klingbeil und Saskia Esken, mit Manuela Schwesig, Hubertus Heil und Boris Pistorius den Aufktakt in Hannover, anwesend waren 400 SPD-Mitglieder. Die zentrale Frage lautet: Wenn die SPD nicht Teil dieser Regierung wird – was dann? SPD-Chef Lars Klingbeil versuchte genau darauf eine Antwort zu geben – eindringlich und emotional. Er spricht von historischer Verantwortung und verweist auf die nächsten Wahlen 2029 und 2033 – und auf das Jahr 1933, als Warnung vor einem politischen Rechtsruck, sollte die SPD sich verweigern.
Jusos: „Das ist nicht unsere SPD“
Doch nicht alle lassen sich davon überzeugen. Die Jusos schlagen Alarm: Aus ihrer Sicht ist der Koalitionsvertrag kein sozialdemokratischer Erfolg, sondern ein fauler Kompromiss. Besonders die geplante Migrationspolitik, die Abschwächung sozialer Sicherungssysteme und das Fehlen einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer sorgen für Frust.
Ronja Lämmerhirt, Vorsitzende der Jusos in Niedersachsen, bringt es auf den Punkt: „Dieser Vertrag versucht, gesellschaftliche Probleme auf dem Rücken von Geflüchteten und Sozialhilfeempfänger*innen zu lösen. Das können und wollen wir nicht mittragen.“ Auch Juso-Bundeschef Philipp Türmer kritisiert den künftigen Kanzler Merz und wirft ihm vor, durch seine Kommunikation gezielt Misstrauen zu schüren – etwa bei der Debatte um den Mindestlohn, den die SPD auf 15 Euro erhöhen will, während Merz dies zuletzt als „nicht automatisch beschlossen“ bezeichnete.
Was steht auf dem Spiel?
Die Abstimmung läuft bis Ende April, das Ergebnis soll am 30. April bekannt gegeben werden. Sollte die SPD-Basis den Vertrag ablehnen, stünde Deutschland vor politischen Turbulenzen. Dann wären Neuwahlen oder eine CDU-geführte Minderheitsregierung denkbar – ein Szenario, das viele Genossinnen und Genossen um jeden Preis vermeiden wollen.
Nicht zuletzt hat die SPD in den Verhandlungen durchaus erreicht, dass sie im Falle einer Regierungsbeteiligung sieben von sechzehn Ministerien besetzen könnte – eine starke Position, die ebenfalls ins Kalkül vieler Mitglieder einfließt.
Zwischen Verantwortung und Überzeugung
Es bleibt also ein Spannungsfeld zwischen politischer Verantwortung und inhaltlicher Überzeugung. Die SPD-Spitze setzt auf Realpolitik und appelliert an die historische Rolle der Partei. Die Jusos hingegen fordern, dass Sozialdemokratie mehr sein muss als ein taktischer Kompromiss. Wie die Partei am Ende entscheidet, wird nicht nur über eine Regierung, sondern auch über den künftigen Kurs der SPD mitentscheiden.
No comments