Im US-Kongress erhebt eine erfahrene Stimme Besorgnis über den demokratischen Rückschritt in der Türkei

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Abdülhamit Bilici

Chris Smith, ein langjähriges Mitglied des US-Repräsentantenhauses und engagierter Fürsprecher für globale Menschenrechte, verfolgt die politischen und rechtlichen Entwicklungen in der Türkei seit Jahren mit großer Aufmerksamkeit. Als Abgeordneter für den 4. Bezirk von New Jersey seit 1981 hat Smith zahlreiche Anhörungen zu internationalen Menschenrechten geleitet – darunter zuletzt eine Sitzung, die sich ausdrücklich mit dem demokratischen Abbau in der Türkei, politischen Inhaftierungen und der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten befasste.

In diesem Interview reflektiert Kongressabgeordneter Smith über die Herausforderungen, Menschenrechte auch in befreundeten Staaten zu fördern, über die politischen Dynamiken, die internationale Reaktionen auf die inneren Entwicklungen in der Türkei erschweren, und über mögliche Maßnahmen der Vereinigten Staaten und ihrer Partner. Zudem äußert er sich zur Auswirkung der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf die demokratischen Institutionen der Türkei – und richtet eine direkte Botschaft an die türkische Führung.

Frage: Sie haben sich nicht nur für die Türkei, sondern weltweit für Menschenrechte eingesetzt. Was macht die Türkei in Bezug auf Menschenrechte so einzigartig – und warum ist es dort offenbar nicht möglich, Verbesserungen zu erreichen?

Smith: Das ist eine sehr gute Frage. Leider wird die Türkei als „Verbündeter“ betrachtet, als NATO-Partner – und das führt dazu, dass sowohl im US-Kongress als auch in der Europäischen Union viele einfach wegschauen, wenn es um Menschenrechte geht. Alle sagen zwar irgendetwas, aber es fehlt die Verknüpfung, es fehlt der Wille, Erdoğan wirklich zur Rechenschaft zu ziehen. Und genau deshalb kommt er buchstäblich mit Mord davon. Es ist höchste Zeit, dass wir auf den Fakten bestehen – und die Fakten vor Ort sind erschreckend: Inhaftierungen als Mittel zur Kontrolle, systematische Anwendung von Folter – wofür er bekannt ist – und die Verfolgung religiöser Gruppen verschiedenster Art. All das dient nur einem Zweck: seine Macht zu sichern. Und dafür hat er jede nur denkbare Form von Brutalität eingesetzt. Wir müssen das benennen. Die Menschen in der Türkei verdienen besseres – viel besseres. Sie verdienen eine lebendige Demokratie mit Gewaltenteilung, unabhängiger Justiz und funktionierender Legislative. Ich war selbst im Parlament in Ankara im Rahmen einer OSZE-Versammlung. Es wäre möglich – wenn der politische Wille da wäre. Ich möchte Erdoğan selbst daran erinnern: Die Geschichte ist übersät mit Diktatoren, die ihrem Volk Schreckliches angetan haben. Wenn sie dann abgesetzt oder gestorben sind – wie Ceaușescu in Rumänien –, sagt plötzlich jeder: „Er war ein Despot, er hat uns furchtbares Leid zugefügt.“ Und genau daran wird man sich erinnern.
Deshalb: Verändert euch, reformiert euch, öffnet euch – lasst die Menschen ihre Freiheit leben und achtet die Demokratie.

Frage: Was würden Sie Erdoğan sagen, wenn Sie ihm heute begegneten?

Smith: Ich würde ihm direkt sagen: Hören Sie auf damit. Sie mögen jetzt an der Macht sein, aber Sie missbrauchen diese Macht auf schreckliche Weise – gegenüber Unschuldigen. Dass Sie Tausende von Menschen unter falschen Terrorvorwürfen anklagen, entehrt Sie als Präsident. Und wir müssen das klar benennen – und ich würde es ihm auch persönlich ins Gesicht sagen. Ich habe das auch anderen Diktatoren direkt gesagt – etwa Omar al-Baschir aus dem Sudan, den ich persönlich getroffen habe. Ich habe ihn wegen des Völkermords in Darfur zur Rede gestellt.
Ich habe es auch im Ausschuss gesagt: Als Erdoğan gebeten wurde, ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen Baschir zu ermöglichen, lachte er darüber. Er lachte über Völkermord! Ich war in Darfur, habe dort zwei große Flüchtlingslager besucht. Heute ist alles wieder im Chaos, es fließt Blut – es war ein Völkermord. Wie kann man über einen Völkermord lachen? Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir alle den Völkermord an den Armeniern offiziell anerkennen – das wäre ein Anfang. Die Menschen verdienen etwas Besseres.

Frage: Es gibt viele Länder mit schweren Menschenrechtsverletzungen – was macht die Türkei in dieser Hinsicht besonders?

Smith: Die Türkei könnte eine starke Demokratie sein. Das Volk hat es verdient. Doch Erdoğan hat die Macht ergriffen und dafür gesorgt, dass seine Gegner keinerlei Spielraum mehr haben. Wenn man Polizei und Gesetzlosigkeit dazu nutzt, Menschen zu unterdrücken – was bringt einem dann noch die Macht? Was nützt das wirklich? Das kann man allen Diktatoren der Geschichte fragen: Was hat euch eure Macht gebracht? Warum handelt Erdoğan so? Nur ein Psychiater könnte das erklären. Aber die Konsequenzen für das Volk sind erschütternd.

Frage: Sie sind ein führendes Mitglied des Kongresses aus der Republikanischen Partei, der Partei von Donald Trump. Was würden Sie Trump und der aktuellen US-Regierung in Bezug auf die Menschenrechtslage in der Türkei sagen?

Smith: Ich würde sagen: Sprecht es offen aus. Nennt die Dinge beim Namen. Verknüpft sie mit politischen Maßnahmen – etwa durch die Verhängung von Sanktionen nach dem Global Magnitsky Act. Ich war der ursprüngliche Autor dieses Gesetzes im Repräsentantenhaus, noch bevor es als Zusatz verabschiedet wurde. Es ist ein sehr wirksames Instrument, um gezielt Einzelpersonen – auch an der Staatsspitze – für schwerwiegende Vergehen zu sanktionieren. Also: Sprecht die Wahrheit, seid klar, und tretet für die Opfer ein.

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